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widersinnig. Denn gerade das konstituiert den Unterschied zwischen
dem Einheimischen und jedem Fremden, Ausländer wie Landesfremden,
dafs für den ersten seine Staatsangehörigkeit an Voraussetzungen an-
geknüpft ist, welche bei dem letzteren gar nicht zutreffen können oder,
anders gewendet, dafs die Landesfremden nur unter anderen Vor-
aussetzungen als die Einheimischen zur Staatsangehörigkeit zugelassen
werden.
Nicht minder unhaltbar ist eine andere Auffassung. Nach ihr
besitzt die Klausel nur die Bedeutung, dafs der stattgehabte Er-
werb der Staatsangehörigkeit durch einen Landesfremden in Rücksicht
auf die staatsbürgerlichen Rechte die volle Wirkung der Staats-
angehörigkeit der Einheimischen haben müsse. Insbesondere sollen
also diejenigen besonderen Bedingungen, z. B. das Verstreichen
eines längeren Zeitraumes wegfallen, welche für die Ausübung staats-
bürgerlicher Rechte durch Naturalisierte vorgeschrieben sind!‘. Allein
R.V. a. 3 spricht schlechterdings nicht von Rechten, welche seit und
durch den Erwerb der Staatsangehörigkeit auf Grund der Über-
wanderung gewährt werden, sondern im genauen Gegenteile nur von
denjenigen Rechten, die sich an die Landesfremdheit, an die That-
sache des Nichterwerbes der Staatsangehörigkeit knüpfen sollen.
Hiernach hat die Klausel „Erlangung des Staatsbürgerrechtes“
nur den Sinn, der ihr ausdrücklich bei der Beratung der norddeut-
schen Verfassung im Namen der verbündeten Regierungen beigelegt
worden ist!?: die Gleichbedeutung mit „Erwerb der staatsbürgerlichen
1 Landgraf, in Hirths Annalen 1870 S. 638; Pözl, Bayer. Verfassungs-
recht $ 25, insbesondere Note 6.
1? Erklärung des Bundeskommissars Hofmann im konstituierenden
Reichstag — Sten. Ber. S. 244 —: „Die Aufnahme dieser Worte (Erlangung
des Staatsbürgerrechtes) beruht auf der Erwägung, dafs es der Natur der Sache
nach einen Unterschied giebt zwischen Staatsangehörigkeit, welche jedem
Untertbanen, also auch z. B. Minderjährigen, Frauen u. s. w. zukommt, und
zwischen Staatsbürgerrecht, d. h. der Fähigkeit zur vollen Ausübung aller
staatsbürgerlichen Rechte, namentlich auch des aktiven und passiven Wahl-
rechtes. Es sind in einer Reihe deutscher Verfassungen für diese Fähigkeit
zur Ausübung aller politischen Rechte, für das Staatsbürgerrecht im
engeren Sinne, besondere Voraussetzungen auch den Inländern gegenüber
gegeben und es war deshalb nur konsequent, wenn man in den Art. 3 auch
die Erlangung des Staatsbürgerrechtes in der Weise aufnahm, dafs der An-
gehörige eines deutschen Bundesstaates in jedem anderen Bundesstaat zur
Erlangung des Staatsbürgerrechtes unter denselben Voraussetzungen wie der
Einheimische und unter Übernahme derselben Verpflichtungen, wie sie z. B.
in Beziehung auf Besteuerung und in Beziehung auf Militärpflicht für den
Binding, Handbuch. V. 1: Hänel, Staatsrecht. I. 38