Die Staatenpflege des Reiches und die Rechtsstellung der Einzelstaaten. 595
II. Kapitel.
Die Staatenpflege des Reiches und die Rechtsstellung der
Einzelstaaten.
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Die Kompetenzen des Reiches, welche unter der Staatenpflege
zusammengefalst sind, weisen die nämlichen Unterschiede auf, wie
seine anderweitigen Kompetenzen.
Sie erschöpfen sich zu einem Teile — abgesehen von der be-
gleitenden Beaufsichtigung — in gesetzgeberischen Regelungen: so bei
dem strafgesetzlichen Schutz der Einzelstaaten, bei den Regelungen
der Rechts- und Verwaltungshülfe, bei dem Verfassungsgrundsatz des
Indigenates. Zu einem anderen Teile fallen sie der unmittelbaren
und eigenen Verwaltung des Reiches anheim; so bei der Verwendung
der völkerrechtlichen Befugnisse des Reiches oder der Handhabung
des Kriegszustandes im Interesse der Einzelstaaten, so bei der Er-
ledigung von Verfassungs- und zwischenstaatlichen Streitigkeiten.
I. Allein trotz dieser formellen Übereinstimmung ist die Staatenpflege
durch ihren Inhalt eine eigentümlich gewandte Kompetenz des Reiches.
Sie ist dies zunächst ihrem Gegenstande nach. Die Befug-
nisse des Reiches richten sich auf das rechtliche Dasein und das ge-
ordnete Zusammensein der Einzelstaaten. Damit ist die Staaten-
pflege eine ausschliefsliche Kompetenz des Reiches in dem be-
sonderen und verstärkten Sinne, dals die Einzelstaaten einen gleich-
artigen Verwaltungszweig gar nicht haben können. Denn es handelt
sich hier überall um die Regelung von Verhältnissen, welche aufser-
halb der Macht- und Rechtssphäre des vereinzelten Staates liegen und
darum unter unabhängigen Staaten nur durch völkerrechtliche Rechts-
geschäfte und Rechtsmittel geordnet und geschlichtet werden können.
Eine Analogie im Innern des Einzelstaates bietet nur sein Recht,
den ihm eingegliederten korporativen Verbänden rechtlichen Schutz
und die Ordnung ihrer gegenseitigen Verhältnisse zu gewähren. Aber
der wesentliche Unterschied wird bezeichnet durch den Unterschied,
der zwischen der Natur einer öffentlichen Korporation im Einheits-
oder Einzelstaate und der eines Einzelstaates im Reiche obwaltet.
Eigentümlich weiterhin ist die Kompetenz, weil die Rechte des
Reiches, obwohl sie sich auf „Staaten“ beziehen, trotzdem ihrer for-
mellen Natur nach selber staatliche sind: seine Gesetzgebung,
seine Vollziehung in der Rechtssprechung durch eigene Organe und
in der Exekution durch eigene Machtmittel. Hierdurch unterscheidet
sich die Staatenpflege von den Wirkungen aller völkerrechtlichen Ver-
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