630 II. Buch. Die Reichsgewalt.
stande nach einen weiten Umfang. Dieselbe ist insbesondere nicht
erschöpft durch die Specialklauseln der R.V, a. 54: „Das Reich hat
das Verfahren zur Ermittelung der Ladungesfähigkeit der Seeschiffe zu
bestimmen, die Ausstellung der Melsbriefe?’, sowie die Schiffscertificate
zu regeln und die Bedingungen festzustellen, von welchen die Erlaub-
nis zur Führung eines Seeschiffes abhängig ist®. Es sind dies nur
Exemplifikationen. Und demgemäls hat das Reich in unbestrittener
Anwendung bestehender Kompetenz eine weit darüber hinausgehende
Gesetzgebung entfaltet.
In der Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872 hat das-
selbe durch die besondere Qualifizierung der Dienstpflichten der Schiffs-
mannschaft, durch die Anerkennung des Schiffers als Inhabers einer
eigentümlichen Schiffsgewalt, als Standesbeamten, als Hülfsorganes der
Strafverfolgung, durch die Anforderungen an die Seetüchtigkeit und
Ausrüstung des Schiffes die Seeschiffahrt trotz der breiten privatrecht-
lichen Grundlage zu einer Öffentlich regulierten Beför-
derungsanstalt erhoben. In dem Gesetze über die Untersuchung
von Seeunfällen vom 27. Juli 1877 und in der Strandungs-
ordnung vom 17. Mai 1874 hat das Reich die Feststellung der Ver-
antwortlichkeitsverhältnisse und die Rettungsmalsregeln bei Seeunfällen,
in dem Gesetz vom 22. Mai 1881 die Küstenfrachtfahrt geregelt.
Es hat in dem Gesetz über die Schonzeiten der Robben vom
4. Dezember 1876 und in dem vom 30. April 1884 über die Anwen-
dung der internationalen Konvention vom 6. Mai 1882 auf die Küsten-
gewässer der Nordsee auch die Seefischerei? wenigstens einer par-
tiellen Ordnung unterzogen.
? Geschehen in rechtsungültiger Verordnung des Bundesrates durch die
Schiffsvermessungsordnung vom 5. Juli 1872 nebst Ergänzungen vom 24. Okt.
1875 und 15. April 1879 und durch die die früheren Bestimmungen ersetzende
Schiffsvermessungsordnung vom 20. Juni 1888. S. 8 45 IL 1.
8 Die letztere Bestimmung ist überdies schon gedeckt durch die Kom-
petenz des Reiches zur Gewerbeordnung; dieselbe hat in $ 31 nicht nur für
Seeschiffer, sondern auch für Seesteuerleute, Maschinisten und Lotsen den
Ausweis über den Besitz der erforderlichen Kenntnisse durch ein Befähigungs-
zeugnis der zuständigen Verwaltungsbehörde angeordnet und die Vorschriften
über den Nachweis der Befähigung dem Verordnungsrechte des Bundesrates
zugeschrieben.
9 Im konstituierenden Reichstag — Verh, S. 280 ff. — wurde allerdings
der Antrag, auch den „Fischfang zur See“ dem R.V.a. 4 No. 9 hinzuzufügen,
abgelehnt. Allein die Kompetenz des Reiches zur Regelung der Seefischerei
ist anderweitig im vollen Umfang begründet: zunächst in Rücksicht auf ihre
völkerrechtlichen Beziehungen, sodann um der Zugehörigkeit der Fischerei-