634 II. Buch. Die Reichsgewalt.
Endlich knüpft sich eine besondere Gestaltung der Reichskompe-
tenz an die erundlegende Vorschrift des Seeunfallgesetzes vom
27. Juli 1877. Sie bestimmt, dals die Feststellung der Thatbestände,
welche bei dem Seeunfall eines Kauffahrteischiffes für die rechtliche
Verantwortlichkeit der Beteiligten von Bedeutung sein können, in den
Formen eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erfolgen soll. Hier-
für hat sich das Reich sowohl in erster als in zweiter Instanz beson-
dere Befugnisse beigelegt, welche nicht blols eine Beaufsichtigung, eine
„Oberaufsicht über die Seeämter“ — 8 6 — darstellen.
In der ersten Instanz, welche von den landesherrlichen, durch
den Bundesrat territorial abgegrenzten — 8 6 — Seeämtern gebildet
wird, hat das Reich sich wesentliche Rechte des unmittelbaren Pro-
ze[sbetriebes zugeschrieben. Der Reichskanzler hat das Recht, die
Untersuchung anzuordnen und zwar dann ausschliefslich, wenn
es sich um Unfälle ausländischer Kauffahrteischiffe aulserhalb der deut-
schen Küstengewässer handelt — 88 2, 3 —, sowie unter mehreren
zuständigen Seeämtern das untersuchungführende zu bestimmen —
8 4 —; den bei den Seeämtern vom Reichskanzler bestellten Kom-
missaren sind staatsanwaltliche Funktionen zugeteilt — 88 13, 21 —,
nur auf ihren Antrag kann dem schuldigen Schiffer oder Steuermann
der Gewerbebetrieb entzogen werden — $ 26 — und sie haben gegen
den diesen Antrag abweisenden Spruch das Recht der Beschwerde
—827 —.
In der zweiten Instanz sodann, welche auf Beschwerde des
Reichskommissars oder der Beteiligten über die verweigerte oder aus-
gesprochene Entziehung des Schiffer- oder Steuermannpatentes end-
gültig entscheidet, hat sich das Reich selbst die Verwaltungsgerichts-
barkeit zugesprochen und übt dieselbe durch eine eigene Behörde:
das Oberseeamt aus — 88 29 ff. —.
C. Das Eisenbahnwesen!.
1. Artikel 4 No. 8 der Reichsverfassung.
& 107.
I. Das Eisenbahnwesen unterliegt nach R.V. a. 4 No.8 der
Kompetenz des Reiches, jedoch mit dem Zusatze: „im Interesse
derLandesverteidigung und desallgemeinen Verkehres.“
1 Thudichum, Verfassungsr. S. 344 ff. Fischer, in v. Holtzendorffs
Jahrb. I 409 ff, IT 211 ff., IV 421ff. v. Rönne, Staatsr. d.d. R. Ilı 314 ff.
Laband, Staatsr. II 112 ff. Rösler, Sociales Verwaltungsr. Iz 431ff. G.