$ 108. Die historische Grundlage. 641
punkte aus bedenkliche Handhabung der staatlichen Genehmigungs-
rechte, welche die Erteilung der erforderlichen Genehmigung im ein-
zelnen Falle an aufserhalb desselben liegende Bedingungen bindet,
deren Vorschrift und Erzwingung an sich aufserhalb der Rechtsmacht
des Staates liegt.
Damit ergab sich zugleich die Partikularisierung des Eisen-
bahnwesens in einem eminenten Sinne. Sie bestand nicht nur in dem
Nebeneinander suveräner Einzelstaaten, welches die planmälsige An-
lage und den ineinandergreifenden Betrieb der Eisenbahnen über
mehrere Territorien hinweg von dem Zustandekommen mannigfacher
Staatsverträge abhängig machte. Sie wurde auch innerhalb des einzelnen,
umfangreicheren Staates durch die Selbständigkeit und Geschlossen-
heit jedes einzelnen Eisenbahnunternehmens hervorgebracht. Denn
auch dem Einzelstaate mangelten regelmälsig und abgesehen von be-
sonders qualifizierten Fällen die zureichenden Rechte, um die Ein-
heitsforderungen des Verkehrs zu erzwingen: das Ineinandergreifen
der Fahrpläne, direkte Expeditionen im Personen- und Güterverkehr,
die gegenseitige Benutzung der Fahrzeuge, die Übereinstimmung der
Grundsätze für die Gestaltung der Beförderungsverträge und für die
Tarifierungen und zu diesen Zwecken die Übereinstimmung der tech-
nischen Konstruktionen und Manipulationen.
3. In diese Lücke trat das Einigungswesen der deutschen
Eisenbahnen unter gleicher Beteiligung der Privat- und der Staats-
bahnen ein, welches die durch die Rechtslage bedingte Partikulari-
sierung in bedeutenden Leistungen zu überwinden suchte.
Die oberste Spitze in dieser Entwickelung bildet der „Verein
deutscher Eisenbahnverwaltungen“. Hervorgegangen aus
dem im Jahre 1846 begründeten Verbande mehrerer preulsischer
Eisenbahnverwaltungen umfalst er jetzt nicht nur sämtliche deutsche
und österreichisch- ungarische, sondern auch die Eisenbahnverwal-
tungen Hollands, Luxemburgs, Belgiens, Polens und Rumäniens. Seine
Organisation besteht in einer geschäftsführenden Direktion mit einem
Bureau von Vereinsbeamten, in einer Anzahl ständiger Kommissionen
und in der Generalversammlung, deren Majoritätsbeschlüsse ursprüng-
lich nur durch die Ratifikation aller beteiligten Verwaltungen, neuer-
dings schon durch die einer qualifizierten Majorität — mangels Wider-
spruches von ein Zehntel sämtlicher, nach der Bahnlänge verteilten
Stimmen — verbindlich werden*. Seine Wirksamkeit hat sich nicht
* Statut des Vereins Deutscher Eisenbahnverwaltungen, beschlossen auf
der Generalversammlung 2.—4. August 1830 in Baden-Baden.
Binding, Handbuch. V. 1: Hänel, Staatsrecht. I. 41