$ 117. Der Gewerbebetrieb. 693
Sind hiernach schon die gesetzgeberischen Motive schwankend und
unklar, so hat der Gang der Gesetzgebung alle Grenzen durchbrochen,
welche bei einer engeren Begriffsbestimmung zum mindesten konte-
stationsweise hätten zur Geltung kommen müssen. Schon der ur-
sprüngliche Text des $ 6 der Gewerbeordnung glaubte eine ausdrück-
liche Ausnahme für den Urproduktionszweig der „Fischerei“ machen
zu müssen, um dieselbe nicht unter die Bestimmungen des Gesetzes
fallen zu lassen; die Novelle vom 1. Juli 1883 hat dem bedinst die
„Viehzucht“ hinzugefügt, weil $ 56b. allerdings eine Bestimmung für
das Gewerbe der Viehzucht (Umherziehen mit Zuchthenssten) trifft.
Die Gewerbeordnung trifft ferner für die wissenschaftlichen und künst-
lerischen Thätigkeiten der ärztlichen Praxis und der Schauspielunter-
nehmungen Bestimmungen. Ja selbst der Betrieb des Land- und
Forstwirtschaftsgewerbes wird durch die Konzessionspflicht der Dampf-
kessel und der Stauanlagen für Wassertriebwerke berührt. Und auch
der aus anderen Gründen nicht erledigte Gesetzentwurf von 1873 über
die Kontraktbrüchigkeit der land- und forstwirtschaftlichen Arbeitgeber
und Arbeitnehmer! ist auf Kompetenzbedenken nicht gestolsen.
Hierzu tritt der Umstand, dafs das Wort „Gewerbebetrieb“ in
fundamentalen Bestimmungen der Reichsgesetzgebung, in R.V. a. 3
über das Indigenat und in $ 1 des Gesetzes vom 1. November 1867
über die Freizügigkeit, unmöglich in einem engeren Sinne genommen
werden kann, als der volle Sprachgebrauch mit sich bringt‘.
Und so muls behauptet werden, dals die Kompetenz des Reiches
nicht durch den Rückgriff auf die engeren und doch schwankenden
Begriffsbeschränkungen der früheren partikularrechtlichen Gewerbe-
ordnungen, sondern nur durch den zuerst entwickelten vollen, wirt-
schaftlichen und rechtlichen Begriff des Gewerbebetriebes Inhalt und
Grenzen empfängt.
15 Anlage zu den Reichstagsverhandlungen von 1873 No. 199.
16 Noch deutlicher ging dies aus R.V. von 1849 $ 133, Unionsverf. $ 131
hervor. Hier heifst es: „Jeder Deutsche hat das Recht, an jedem Orte des
Reichsgebietes seinen Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen, Liegenschaften
jeder Art zu erwerben und darüber zu verfügen, jeden Nahrungszweig
zu betreiben, das Gemeindebürgerrecht zu gewinnen. Die Bedingungen
für den Aufenthalt und Wohnsitz werden durch ein Heimatgesetz, jene für
den Gewerbebetrieb durch eine Gewerbeordnung für ganz Deutsch-
land von der Reichsgewalt festgesetzt.“ Denn hier ist offenbar die Gewerbe-
ordnung, die Ordnung des Gewerbebetriebes in keinem anderen Sinne ge-
nommen, als in dem der Regelung des Grundrechtes: „jeden Nahrungs-
zweig zu betreiben“.