710 U. Buch. Die Reichsgewalt.
unterstellen kann. Und das Ausnahmsweise des Falles ist gesteigert
in der ähnlichen Bestimmung des Rinderpestgesetzes 8 12. Denn hier
wird auch ohne die Voraussetzung, dafs die Mitleidenschaft einer
Mehrheit von Einzelstaaten in Frage steht, der Reichskanzler er-
mächtigt, nach freiem Ermessen der Notwendiekeit und Nützlichkeit
„selbständig Anordnungen zu treffen oder einen Bundeskommissar
zu bestellen, welcher die Behörden des beteiligten Einzelstaates
unmittelbar mit Anweisung zu versehen hat“.
II. Die Maisregeln zur Verhütung und Unterdrückung der Vieh-
seuchen fallen unter die weitere Kategorie der Verwaltungsaufgaben,
welche den Schutz des wirtschaftlichen Gütervorrates
gegen Vernichtung, Beschädigung und Vergeudung, sei es durch natür-
liche Vorgänge, sei es durch menschliche Handlungen, zum Gegen-
stande haben. Selbstverständlich ist das Reich auch hier kompetent,
insoweit es sich dafür lediglich um die Verwertung anderweitiger
Kompetenzen, insbesondere des Strafrechtes®e oder des Rechtes der
Ein- und Ausfuhrverbote” handelt. Allein eine selbständige Kompetenz
für jene weitere Aufgabe, die über die Grenzen der Veterinärpolizei
hinausgreift, ist ihm durch die R.V. selbst nicht zugesprochen worden.
Trotzdem hat das Reich einzelne hier einschlagende Malsregeln
seiner Beaufsichtigung und Gesetzgebung unterworfen.
1. Zunächst die Verhütung und Unterdrückung der Reblaus-
krankheit.
Die beiden Reichsgesetze, das Gesetz vom 6. März 1875, welches
den Reichskanzler zu Untersuchungen über das Auftreten und über die
Bekämpfung der Reblaus ermächtigte, und das Gesetz vom 3. Juli 1883
zur Abwehr und Unterdrückung der Reblauskrankheit stellen eine
Erweiterung der Reichskompetenz dar.
Das gilt zunächst dem Gegenstande der Verwaltung nach.
Allerdings ist das zweite Gesetz erlassen auf Grund und zur Durch-
führung eines völkerrechtlichen Vertrages, der Reblauskonvention vom
3. November 18813. Allein eben dieser Vertrag bewirkte die Kompetenz-
erweiterung. Denn sie begründete Verpflichtungen und damit Rechte
des Reiches für einen Verwaltungsgegenstand, der verfassungsmälsig
den Einzelstaaten vorbehalten war.
€ So die strafgesetzlichen Bestimmungen gegen Raupenfrals, gegen Ver-
tilgung von jagdbarem Federwild und Singvögeln. Strafgesetzbuch $ 368
No. 2. 11.
? So das Einfuhrverbot zum Schutz gegen den Koloradokäfer vom
26. Februar 1875.
°® Sie ersetzte die frühere Konvention vom 17. September 1878.