Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

720 II. Buch. Die Reichsgewalt. 
staates aulserordentliche Verkümmerung der eigenen und selbständigen 
Rechtspflege auf. | 
Aber diese Verkümmerung findet nach zwei Seiten hin eine Korrektur. 
Das, was die Verfassung in den einschlagenden Klauseln zu un- 
mittelbarer Geltung vorschreibt, ist nicht überall gleichbedeutend mit 
Schranken seiner Kompetenz. Insbesondere reicht die Kompetenz des 
Reiches zur Organisierung einer selbständigen, von den politischen 
Faktoren losgelösten Rechtsprechung in den organischen Rechtsstreitig- 
keiten weiter als der nächste Wortlaut jener Klauseln. 
Aber auch da, wo die Bestimmungen der Verfassung Schranken 
segen eine eigene Gerichtsbarkeit des Reiches errichteten, hat die 
innere Natur der Dinge zu einer Sprengung derselben gedrängt. Die 
Entwickelung der Gesetzgebung hat gerade auf dem durch die Ver- 
fassung künstlich verkümmerten Gebiete der Gerichtsbarkeit des 
Reiches zu einer Erweiterung seiner ursprünglichen Kompetenz geführt, 
wie sie in gleichem Umfange und in gleicher Bedeutsamkeit kaum 
irgend sonst stattgefunden hat. 
I. Kapitel. 
Die Gesetzgebung und Beaufsichtigung des Reiches über die 
Rechtspflege und deren Fortbildung. 
I. Die Privat- und Strafrechtspflege. 
& 128. 
Die Generalklausel. 
Für die Kompetenz des Reiches auf dem Gebiete der Privat- und 
Strafrechtspflege bildet die Generalklausel R.V. a. 4 No. 13 die mals- 
gebende Grundlage. Sie lautet gegenwärtig: Der Beaufsichtigung sei- 
tens des Reiches und der Gesetzgebung desselben unterliegt 
„die gemeinsame Gesetzgebung über das gesamte bürgerliche 
Recht, das Strafrecht und das gerichtliche Verfahren“. 
Erst allmählich hat sie diesen Umfang gewonnen. Die Grund- 
züge vom 14. Juni 1866 beschränkten sich in a. VI No. 11 auf die 
semeinsame Civilproze[lsordnung und das gemeinsame Kon- 
kursverfahren. Der Entwurf der norddeutschen Verfassung fügte 
dem das „Wechsel- und Handelsrecht“ — bei der „Handels- 
gesetzgebung“ der No. 2 des a. 4 überflüssigerweise — hinzu. Die 
norddeutsche Verfassung selbst formulierte noch umfassender: die 
gemeinsame Gesetzgebung über das Obligationenrecht, Straf-
	        
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