Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

122 II. Buch. Die Reichsgewalt. 
fahrens“, dafs die Verfassung beide Worte beschränkt auf das mate- 
rielle Recht. Sie bedeuten, für sich genommen, nur die Rechtssätze, 
welche die Auseinandersetzung der Rechte und Pflichten der Privaten 
untereinander bewirken, die Rechtssätze, welche die strafbaren That- 
bestände und die Straffolgen feststellen. 
Insbesondere für das „bürgerliche Recht“ ergiebt die Kombination 
mit „gerichtlichem Verfahren“ hier die zweifellose Identität des Wortes 
mit „Privatrecht“. Hier ist der Umfang des Wortes „bürgerliches 
Recht“ ausgeschlossen, den dasselbe durch die Gegenüberstellung zu 
„Staatsbürgerrecht“ in R.V. a. 3 al. 1 und noch deutlicher im Ge- 
setz vom 3. Juli 1869, betreffend die Gleichberechtigung der Kon- 
fessionen in „bürgerlicher“ und „staatsbürgerlicher“ Beziehung, em- 
pfänst. Denn eben nur in dieser besonderen Gegenüberstellung befalst 
das bürgerliche Recht über das Privatrecht hinaus auch alle jene 
öffentlichen Rechte, für welche das positive Recht die Staats- 
angehörigkeit nicht als notwendige Voraussetzung fordert. 
Il. Wie die Gegenüberstellung des „gerichtlichen Verfahrens“ die 
Ausdrücke „bürgerliches Recht“. und „Strafrecht“ präcisiert, so be- 
schränken umgekehrt diese beiden Ausdrücke die Bedeutung des „ge- 
richtlichen Verfahrens“. 
An und für sich würde das gerichtliche Verfahren alle jene Funk- 
tionen des Staates befassen, welche aus irgend welchen zutreffenden 
legislativen Gesichtspunkten nicht durch die Instanzen und in dem 
Verfahren der vollziehenden Verwaltung in ihrer herkömmlichen Ge- 
staltung zu erledigen sind, sondern welche, der gemeingültigen Be- 
deutung des Wortes „Gericht“ gemäls, besonders formierten, durch 
die Befähigungsanforderungen und durch die rechtliche Stellung des 
Personales ausgezeichneten Behörden und einem besonders geordneten 
Verfahren überwiesen werden. Allein es ist zweifellos und unbezweifelt, 
dafs in der Verschränkung des Verfassungstextes das „gerichtliche 
Verfahren“ seine nähere Bestimmung durch das „bürgerliche Recht“ 
und das „Strafrecht“ erfährt. Die Kompetenz des Reiches beschränkt 
sich auf das gerichtliche Verfahren, insofern und insoweit das- 
selbe dem bürgerlichen Rechte und dem Strafrechte 
dient. 
1. Damit scheidet aus der Reichskompetenz die Regelung der 
Gerichtsbarkeit auf dem Gebiete des Öffentlichen Rechtes? 
aus, selbstverständlich soweit sie nicht durch besondere, anderweitige 
Verfassungsklauseln begründet wird. Daher ist das Reich aus der 
2 Das Strafrecht hier als besonderer Rechtsteil gefafst.
	        
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