Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

142 II. Buch. Die Reichsgewalt. 
erkennung der Unabhängigkeit der Gerichte andererseits hervorgehen 
mulste. 
Zweifellos gewann die Beaufsichtigung des Reiches mit dem Erlafs 
der Gesetze, welche die Rechtspflege ordnen, ein weites Feld der 
Bethätigung. Der Justizverwaltung der Einzelstaaten erwuchs die Auf- 
gabe, alles anzuordnen und einzurichten, was zur Ausführung der 
Justizgesetze erforderlich ist. Die Organisierung der ordentlichen Ge- 
richte, ihre Bezirksbegrenzung, ihre genügende Besetzung, ihre wirt- 
schaftliche Ausstattung, die Handhabung der Dienstaufsicht und Dis- 
ciplin — das alles sind Dinge, die nicht mehr nur ein Interesse und 
ein Recht der Einzelstaaten darstellen; sie sind zugleich verfassungs- 
mälsige Pflichten gegenüber dem Reiche, deren Einhaltung dieses zu 
überwachen, zu beaufsichtigen und nötigenfalls zu erzwingen hat. Ja 
die Rechte des Reiches reichen darüber hinaus. Wenn die Justiz- 
gesetze teils nach dem Mafse der Reichskompetenz, teils in selbst- 
gewählter Beschränkung ihre Durchführung im weitesten Umfange von 
der ausführenden und ergänzenden Gesetzgebung der Einzelstaaten 
abhängig gemacht haben, so sind diese letzteren im Rückschlage ihrer 
autonomischen Befugnisse doch zugleich dem Reiche verfassungsmälsig 
verpflichtet, auch in Rücksicht auf ihre Gesetzgebung alles das zu 
thun, was zur praktischen Wirksamkeit und Handhabung der Reichs- 
justizgesetze erforderlich ist. Auch diese Gesetzgebung der Einzel- 
staaten unterliegt der Beaufsichtigung des Reiches und zwar bis zur 
Exekution hin. Denn es handelt sich hier nicht blofs um eine ein- 
fache Nichtausübung der Reichskompetenz, sondern um gesetzliche 
Anordnungen des Reiches des positiven Inhaltes, dafs die Einzelstaaten 
dureh ihre Gesetzgebung die der Reichsgesetze ergänzenden und aus- 
führenden Bestimmungen zu treffen haben. 
Allein so weitreichend die Beaufsichtigung des Reiches sich auch 
gestaltet hat, sie findet ihre Grenzen da, wo die Durchführung der 
Reichsgesetze nicht mehr der Justizverwaltung der Einzelstaaten, ein- 
schliefslich ihrer Gesetzgebung, obliegt, sondern wo die Zuständigkeit 
des richterlichen Amtes beginnt. 
Hier entsteht auf Grund der ursprünglichen Bestimmungen der 
Verfassung ein unlösbarer Widerspruch. 
Auf der einen Seite ermächtigt die Generalklausel 4,ı3 das Reich, 
die Einheitlichkeit des Rechtes im Strafrecht, Privatrecht und Prozels- 
ordnung in Deutschland herzustellen. Auf der anderen Seite steht 
den Einzelstaaten, wie auf den anderen Gebieten der Reichskompetenz, 
auch hier das Recht der unmittelbaren und eigenen Durchführung der 
Reichsgesetzgebung und damit auch der vollen Gerichtsbarkeit über
	        
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