$ 127. Das Reichsgericht. 1749
nicht richtig angewandt sei, gleichgültig im übrigen, welcher Art die
Rechtsnorm sei, ob sie dem materiellen oder Prozefsrechte angehöre '°.
Dagegen bezieht sich die Revision nicht auf die andere, jeder Recht-
sprechung nicht minder wesentliche Seite: die Feststellung der den
Thatbestand des Rechtsfalles ausmachenden Thatsachen und ihre
Würdigung, insofern und insoweit dieselben nicht unter Anwendung
von Rechtssätzen, insbesondere nicht nach Rechtssätzen über das Ver-
fahren, sondern vielmehr nach allgemeinen Erfahrungsgrundsätzen, ins-
besondere nach „freier“ Überzeugung des Richters zu erfolgen haben.
Mit dieser ihr wesentlichen Einseitigkeit dient die Revision nicht
sowohl dem Schutze des subjektiven Rechtes, als vielmehr der
Geltungsbewährung des objektiven Rechtes. Denn wäre
für sie das erste gleichwertig, so mülste es vollkommen gleichgültig
sein, ob das subjektive Recht leidet wegen Irrtumes in der recht-
lichen oder in der thatsächlichen Beurteilung.
Allerdings handelt es sich nicht um Geltungsbewährung des ob-
jektiven Rechtes in seiner Eigenschaft als abstrakter, nur hypothe-
tischer Norm, sondern in seiner Anwendung auf den praktischen Fall.
Die Revision ist nicht Kassationsrekurs im Interesse des Gesetzes nach
französischem Vorbilde, welcher von dem am konkreten Falle inter-
esselosen Staate und ohne Rechtswirkungen für die Parteien durch-
geführt wird. Sie ist vielmehr Rechtsmittel der Partei, im Straf-
prozesse einschliefslich der Staatsanwaltschaft’!. Sie kann darum nicht
schon auf jede rechtsirrtümliche Erwägung des Richters, sondern nur
auf eine solche Rechtsirrtümlichkeit gestützt werden, auf welcher die
Entscheidung beruht und bei welcher daher ein Interesse der Partei
durch die Möglichkeit einer anderen Entscheidung getroffen wird. Aber
das Parteimittel ist immer nur dann gegeben, wenn das Interesse der
Partei an der Entscheidung sich deckt mit dem Interesse des Staates
und hier des Reiches auf eine irrtumsfreie und damit auf überein-
stimmende Auffassung des objektiven Rechtes durch die Gerichte.
b. Der Revision vor dem Reichsgerichte unterliegt dem Grund-
satze nach nur die Anwendung des Reichsrechtes — in dem
Sinne, dafs damit das in Deutschland geltende gemeine Recht im
Unterschiede vom Partikularrechte getroffen wird. Aber allerdings
mulste dieser Grundsatz teils eine eigentümliche Formulierung er-
fahren, teiis mannigfachen Beschränkungen unterliegen, teils in Rück-
10 StrafprozelsO. 376. Civilprozef[sO. 511. 512.
11 Vorbehaltlich der Beschränkungen dieser zu gunsten des Beklagten
nach Strafproze[sO. 378. 379.