$ 127. Das Reichsgericht. 751
dem mehreren Einzelstaaten gemeinsamen Privatrechte. Denn mag
dasselbe auf Gewohnheitsrecht oder auf einem früheren Akte der
Gesetzgebung, der für ein jetzt unter mehrere Einzelstaaten verteiltes
Gebiet Geltung hatte, beruhen — immerhin läfst sich seine Eigen-
schaft als gemeines Recht nicht auf eine rechtliche Notwendigkeit,
wie sie jetzt allein die Reichsgesetzgebung bietet, gründen, sondern
nur auf den Nachweis, dafs dasselbe in jedem der betreffenden Einzel-
staaten übereinstimmende rechtliche Anerkennung findet.
Unter diesen Umständen bedurfte es einer besonderen beeriff-
lichen Definition dessen, was denn für die Revision in bürgerlichen
Rechtsstreitigkeiten als gemeines Recht anzusehen sei. Sie ist in dem
Satze des a. 11 der Civilprozelsordnung festgestellt: „Die Revision
kann nur darauf gestützt werden, dals die Entscheidung auf der Ver-
letzung eines Reichsgesetzes oder eines Gesetzes, dessen Geltungs-
bereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichtes — also eines
Oberlandesgerichtes!* — hinaus erstreckt, beruhe.“
Zweifellos ist diese Definition des gemeinen Rechtes, soweit das-
selbe nicht durch Reichsgesetz begründet werden soll, eine durchaus
künstliche.
Diese Künstlichkeit zwang dazu, dem kaiserlichen, durch die Zu-
stimmung des Bundesrates bedingten und unter die Kontrolle des
Reichstages gestellten Verordnunesrechte, die Ermächtigung zu ge-
währen, nach Verschiedenheit der Sachlage auch die Verletzung
solcher Rechtsnormen, deren Geltungsbereich sich über einen Ober-
landesgerichtsbezirk hinaus erstreckt, von der Revision auszuschlieisen
und umgekehrt dieselbe dann zuzulassen, wenn die verletzte Rechts-
norm formell nur im Bezirke eines Oberlandesgerichtsbezirkes gilt'°.
Die Künstlichkeit hat aber auch dazu geführt, denjenigen Einzel-
staaten, in welchen mehrere Oberlandesgerichte errichtet werden — in
praktischer Geltung allein Bayern und mit Ausschlufs Sachsens!® —,
die Ermächtigung zu erteilen, die Zuständigkeit des Reichsgerichtes
als des Revisionsgerichtes in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten einem
obersten Landesgerichte zu übertragen. Allein diese Ermächtigung
ist nicht nur jederzeit durch einfaches Gesetz aufhebbar und be-
schränkbar, sondern sie hat auch, dem Grundgedanken der Revision
entsprechend, keine Geltung für die Zuständigkeit des ehemaligen
14 G.V.G. a. 135.
15 CivilprozelsO. a. 6. Kaiserliche Verordnung vom a
18 Gesetz vom 11. April 1877 8 1.