Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

756 II. Buch. Die Reichsgewalt. 
II. Die Verwaltungsrechtspflege. 
78.188, 
Aus einem allgemeinen Grundsatze; aus dem besonderen Verhält- 
nisse der Verwaltung zur öffentlichen Rechtspflege_folgte es, dafs das 
Reich in allen Gebieten, ‚deren Öffentlichrechtliche Regelung ihm zu- 
steht, auch diejenigen Kontrollen anordnen kann, welche die Einzel- 
staaten für die Sachlichkeit und Gesetzmälsigkeit ihrer Vollziehung 
zu bieten haben. Dasselbe ist insbesondere berechtigt, den Einzel- 
staaten die Organisation und Handhabung einer Verwaltungsrechts- 
pflege vorzuschreiben. 
I. Von dieser seiner Kompetenz hat das Reich — abgesehen von 
den vereinzelten Fällen, in denen es zur Kontrolle öffentlichrechtlicher 
Befugnisse den ordentlichen Rechtsweg anordnet — nur in einem 
Falle mit grundsätzlicher Bedeutung Gebrauch gemacht. 
.Es ist dies geschehen durch $ 21 der Gewerbeordnung vom 
31: Juni 1869, der für die weitere Entwickelung der Verwaltungs- 
rechtspflege in den Einzelstaaten einen malsgebenden Einfluls aus- 
geübt hat. In demselben wird für bestimmte gewerbliche Angelegen- 
heiten vorgeschrieben ein kontradiktorisches, mündliches und öffent- 
liches Verfahren mit den Parteien, eine entscheidende Behörde, die 
in erster oder zweiter Instanz kollegialisch gebildet sein mufs, eine 
mit Gründen versehene Entscheidung, das Rechtsmittel des Rekurses. 
Es ist damit den wesentlichen Anforderungen genügt, welche für die 
Erörterung und Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten im Sinne der 
Verwaltungsrechtspflege zu erheben sind. 
Allerdings diejenige. Entscheidung, die gerade den ersten und 
nächsten Anwendungsfall des $ 21 bildet, die Entscheidung nämlich 
über die Genehmigung solcher Gewerbeanlagen, die erhebliche Nach- 
teile, Gefahren, Belästigungen für Nachbarn und Publikum herbei- 
führen können, ist nach ihrer gesetzlichen Normierung so sehr auf 
freie Erwägungen der Verwaltung angelegt, dafs das geordnete Ver- 
fahren nicht sowohl als Form der Rechtsprechung, sondern als Bürg- 
schaft sachlicher und gleichmälsiger Verwaltungsbeschlüsse aufgefalst 
werden kann!. Allein die zahlreichen weiteren Anwendungsfälle, 
ı Kann, nicht mufs. Denn eine doppelte Auffassung der einschlagenden 
Bestimmungen der Gewerbeordnung ist möglich. Entweder bleibt auch 
gegenüber der gesetzlichen Notwendigkeit der Genehmigung belästigender 
und gefährlicher Anlagen das der Gewerbefreiheit entsprechende Recht auf 
den Gewerbebetrieb anerkannt, dergestalt, dafs dasselbe nur beschränkt werden
	        
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