$ 131. Die organische Rechtspflege insbesondere. 169
Einzelstaaten unmittelbar im Verhältnisse zum Reiche zustehen und
obliegen. Die Abhängiekeit des Reiches von dem Bestande und der
Thätiekeit der Einzelstaaten bewirkt es, dafs auch der Organismus
des Reiches als berührt und dasselbe als beteiligt erscheint, wenn es
sich um Rechtsfälle handelt, welche die zwischenstaatliche Friedens-
ordnung oder das Funktionieren der inneren Verfassung des Einzel-
staates betreffen.
Auch hier ist die Reichsgesetzgebung nur in einem ganz ver-
einzelten Falle thätig gewesen, indem sie durch das Gesetz vom
14. Mai 1881 die Verfassungsstreitigkeiten Hamburgs vor
das Reichsgericht, als Staatsgerichtshof, verwies.
III. Abgesehen von diesem Einzelfall und abgesehen von der
Diseiplinargerichtsbarkeit, hat weder in der ersten, noch in der zweiten
Gruppe der Rechtsfälle eine selbständige organische Gestaltung und
eine funktionelle Loslösung der organischen Rechtspflege von den
politischen Instanzen und von dem Verfahren der vollziehenden Ver-
waltung stattgefunden.
Für ein rechtliches Verfahren in Verfassungsstreitigkeiten des
Reiches und behufs Geltendmachung der konstitutionellen Verantwort-
lichkeit des Reichskanzlers und seiner Stellvertreter mangelt es an
jeder gesetzlichen Ordnung überhaupt.
In allen übrigen Fällen ist es zur Zeit der Bundesrat — in einem
Falle unter Mitwirkung des Reichstages —, dem die Entscheidung
des Rechtsstreites als Hauptsache oder nur als Zwischenpunkt obliegt.
Zur Behauptung seiner verfassungsmälsigen Rechte im Ver-
hältnisse zum Reiche steht dem Einzelstaate im Falle des Streites nur
ein Antrag auf Beschluisfassung des Bundesrates zu Gebote.
Die Entscheidung über das Bestehen und den Umfang ver-
fassungsmäßsiger Pflichten, welche der Einzelstaat gegenüber dem
Reiche bestreitet, ist nur eine Vorfrage für die Maflsregeln der Beauf-
sichtigung und der Exekution, über welche der Bundesrat zu be-
schliefsen hat.
Streitigkeiten zwischen den Einzelstaaten werden nach
Mafsgabe des 1. Abs. R.V. a. 76 von dem Bundesrate erledigt.
Verfassungsstreitigkeiten in den Einzelstaaten sind
nach Malsgabe des 2. Al. R.V. a. 76 im Wege der Reichsgesetz-
gebung, also durch übereinstimmenden Beschluls von Reichstag und
Bundesrat, zur Erledigung zu bringen.
Hier überall ist die Entscheidung in die Hand eines politischen
Organes des Reiches gelegt, dessen Besetzung durch instruierte Be-
vollmächtigte der Einzelstaaten erfolgt, dessen Geschäftsordnung nicht
Binding. Handbuch. V. 1: Hänel, Staatsrecht. I. 49