Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

178 U. Buch. Die Reichsgewalt. 
Beide Schriftsteller stützen und können ihre Ansicht allein stützen 
auf den Eingang der Reichsverfassung. 
Derselbe disponiert nach ihrer Auffassung ein Dreifaches: „die 
Existenz der einzelnen Staaten als Glieder des Bundes“; „das Be- 
stehen eines Bundesverhältnisses“, welches aufhören würde, 
„wenn den Einzelstaaten keine Angelegenheiten mehr zu selbständiger 
Ordnung verblieben, wenn die Ausübung der Recierungsgewalt einem 
oder einzelnen der verbündeten Staaten übertragen, oder wenn den 
Einzelstaaten die Selbständigkeit ihrer Organisation genommen würde“; 
endlich „die Feststellung der Bundeszwecke“, nämlich: 
„Schutz des Bundesgebietes und des innerhalb desselben gültigen 
Rechtes, sowie Pflege der Wohlfahrt des deutschen Volkes.“ 
Und zwar ist ihnen dieser Eingang Vertragsinstrument, 
dem die der Reichsgesetzgebung unterworfene Verfassung, erst mit 
Art. 1 beginnend, nachfolgt. Seine Dispositionen können folgerichtig 
nur durch einen Vertrag zwischen den bezeichneten Parteien aufgehoben 
oder abgeändert werden, unbeschadet der andern Frage, ob auf Grund 
des abgeschlossenen Vertrages aufserdem Änderungen der Reichsver- 
fassung in den vorgeschriebenen Formen erforderlich sind. 
Allein die Auffassung Seydels? ist schon auf Grund der nord- 
deutschen Verfassung unhaltbar. Denn wenn der Eingang derselben 
nach ihm die Absicht und Folge hatte, den Bestand der Bundesglieder 
untereinander vertragsmälsig festzustellen, so durfte und konnte der 
Artikel 79 den Eintritt der süddeutschen Staaten „im Wege der 
Bundesgesetzgebung“ nicht anordnen ohne Rücksicht auf einen 
der Bundesgesetzgebung vorhergehenden Vertrag der Einzel- 
staaten. Und doch ist diese Rücksichtslosigkeit als der Sinn des 
Artikels in unbezweifelter Rechtseültigkeit dadurch festgestellt, dals 
der Eintritt der süddeutschen Staaten nicht durch irgend einen Ver- 
trag der einzelnen norddeutschen Staaten, sondern nur durch einen 
solchen des norddeutschen Bundes bewirkt worden ist. Und zwar 
hat derselbe die erforderliche legislatorische Genehmigung dergestalt 
gefunden, dafs eine Einstimmigkeit im Bundesrate, welche an Stelle 
der einzelstaatlichen Verträge funktionieren könnte, soviel den Ver- 
trag mit Bayern und Württemberg betrifft, nicht vorhanden war und 
5 Dafs Seydel auch innerhalb des Tenors der Verfassung ein Vertrags- 
verhältnis annimmt, ist für die vorliegende Frage gleichgültig. Denn für 
diesen Tenor erkennt er es an, dafs alle Bestimmungen durch die in der 
Verfassung vorgezeichneten Formen, also ohne Vertrag, geändert werden 
können.
	        
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