Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

$ 133. R.V. a. 7S al. 1 als Ermächtigung und Vorschrift. 779 
ebensowenig eine Mitwirkung der norddeutschen Einzellegislaturen 
stattgefunden hat. 
Die Auffassung beider Schriftsteller ist sodann unmöglich ge- 
worden durch die Umwandlung, welche der Eingang der norddeutschen 
Verfassung durch das Verfassungsgesetz des Reiches erlitten hat. 
Seinem Wortlaute nach enthält der Eingang nur noch eine Auf- 
zählung des norddeutschen Bundes, der drei süddeutschen Staaten und 
der südlich des Mains gelegenen Teile des Grofsherzostums Hessen, 
als die den Bund schlieisenden Parteien. Nur durch eine vollkommen 
willkürliche Vertauschung des Begriffes „norddeutscher Bund“, als 
einer verfassunesmälfsigen Einheit, mit einem „Kollektivbegriff“ dieses 
Namens, der mit der Aufzählung der vereinzelten norddeutschen 
Staaten identisch sein soll, kann hierin die Beurkundung eines Rechts- 
verhältnisses zwischen allen deutschen Finzelstaaten untereinander 
oder zwischen jedem Einzelstaate und dem Reiche gefunden werden. 
Formell aber hat $ 1 des Verfassungsgesetzes vom 16. April 1871 
ausdrücklih an die Stelle der süddeutschen Verfassungsverträge 
die „beigefüste Verfassungssurkunde* und damit an die Stelle auch 
des Einganges dieser Verträge, welche den Eingang der nord- 
deutschen Verfassung verschiedentlich formuliert hatten, den Eingang 
der jetzigen Reichsverfassung treten lassen. Derselbe beruht dem- 
nach, selbst wenn er früher Vertrag gewesen wäre, jetzt in seiner 
rechtlichen Geltung ausschliefslich auf demselben Gesetze, welches die 
Verfassung in ihrem ganzen: übrigen Tenor feststellt. Er steht als 
ungetrennter und untrennbarer Bestandteil der beigefüsten „Ver- 
fassungsurkunde für das deutsche Reich“ unter der Formel des Gesetzes 
vom 16. April 1871: „Wir — deutscher Kaiser verordnen im Namen 
des Reiches nach erfolgter Zustimmung des Bundesrates und des 
Reichstages.“ Er enthält, vorausgesetzt, dals er überhaupt dispositiv 
ist, die gesetzliche Vorschrift, dafs die genannten Parteien einen 
Bund schliefsen sollen. Er ist nicht Eingang zur Verfassung, sondern 
Eingang der Verfassung des deutschen Reiches. Daher unterliegen 
seine Vorschriften, wenn er solche enthält‘, der Gesetzgebung des 
Reiches nach Mafsgabe des a. 78 der Verfassung. 
Nach dem allen steht dem Reiche die volle Herrschaft über 
seine Kompetenz zu — in dem nämlichen Sinne und Umfange 
wie dem Einheitsstaate im Verhältnis zu den ihm einverleibten gesell- 
schaftlichen Organisationen. 
I. R.V. a. 78 enthält nieht nur eine Ermächtigung, sondern zu- 
6 Über diese Streitfrage s. Hänel, Studien I 92 £i.
	        
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