Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

792 IH. Buch. Die Reichsgewalt. 
Die deutschen Verfassungen von 1849 eröffneten den Einzel- 
staaten das Reichsgericht für Klagen gegen die Reichsgewalt wegen 
Verletzung der Reichsverfassung durch Erlassung von Reichsgesetzen 
und durch Mafsregeln der Reichsregierung '°. 
Im Gegensatz zu allen diesen Verfassungen steht die Reichsver- 
fassung in ihrer praktischen Handhabung. 
Nach ihr besteht keinerlei Rechtsschutz der Einzelstaaten gegen 
Gesetzgebungsakte des Reiches, welche behauptetermafsen aufserhalb der 
Kompetenz des Reiches liegen. Die Frage der Kompetenzmäfsiekeit 
ist eine Vorfrage oder Zwischenfrage, welche, wenn sie überhaupt er- 
hoben wird, von dem Bundesrate vor seiner oder: mit seiner defini- 
tiven Schlulsziehung über die Annahme oder Ablehnung eines Gesetz- 
entwurfes endgültig und rechtsverbindlich entschieden wird. 
Ein Kompetenzstreit zwischen dem Reiche und den Einzelstaaten 
kann hiernach immer nur Verordnungen oder einzelne Malsregeln 
des Reiches zum Gegenstande haben. Aber auch hier steht den 
Einzelstaaten zur Zeit — unbeschadet der Kompetenz des Reiches, 
eine rechtliche Instanz und ein rechtliches Verfahren gesetzlich zu 
regulieren und abgesehen von dem indirekten Schutze, den zutreffenden 
Falles das Prüfungsrecht der bestehenden Gerichte gewähren kann — 
ein anderes Rechtsmittel nicht zu, als die Herbeiführung einer Ent- 
scheidung der politischen Körperschaft des Bundesrates, sei es durch 
einen selbständigen Antrag, sei es im Verfahren der Mängelabhülfe 
oder der Exekution. 
Wie das Reich voller Herr, so ist es auch in durchgreifender, 
den Rechtsschutz der Einzelstaaten an besondere Formen und In- 
stanzen nicht bindender Weise, ausschlie[slicher Richter 
über seine Kompetenz. 
Damit gewinnen denn die Formen der Verfassungs- und Kom- 
petenzänderung in der deutschen Reichsverfassung ein doppeltes und 
dreifaches Gewicht für den Schutz der Rechtsstellung der Einzelstaaten. 
Hierfür aber liegt das andere Ergebnis vor. Die Formen, in 
denen Änderungen der Kompetenz des Reiches herbeigeführt werden 
können, sind nicht nur ausschliefslich auf die Gesetzgebung des 
Reiches unter Eliminierung jedes Einflusses der Einzelstaaten als 
solcher gestellt, sondern ihre schützenden Erschwerungen sind auch 
allein in die Beschlufsform eines der legislativen Faktoren verlegt, 
und sie sind überdies durch ihre Auffassung als einer inneren An- 
gelegenheit des Bundesrates zu einer nur beschränkten rechtlichen 
10 8 127 bez. $ 124 lit. a.
	        
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