$S 135. Die Staatsart des Reiches. 197
Gesamtplan dar, nach welchem die Verteilung der Leistungen, die das
deutsche Volk nach seiner Kulturentwickelung von dem Staate fordert,
zwischen dem Reiche und den Einzelstaaten erfolgt ist, so ist es
nicht nur die Aufgabe des Reiches, die Durchführung der ihm zu
seinem Teile überwiesenen Leistungen zu bewerkstelligen und zu über-
wachen. Vielmehr ist es seine höhere und letzte Aufgabe, diesen
Gesamtplan selber im Flusse der sich ändernden Bedingungen des
socialen Lebens und der wechselnden Anschauungen der Nation auf
seine Richtigkeit, Zweckmälsigkeit und Vollständigkeit hin zu prüfen.
Von dem suveränen Urteile und der suveränen Entscheidung des
Reiches über die Notwendigkeit und Zweckmälsigkeit der Centralisation
und Decentralisation der staatlichen Aufgaben, über die Leistungs-
fähigkeit und Leistungswilligkeit der Einzelstaaten hängt es ab, ob
der verfassungsmälsige Gesamtplan der Änderung bedürftig ist oder
nicht, ob die Zuständigkeiten und die Rechtsstellung, die zur Zeit
den Einzelstaaten und damit denn auch den diesen untergeordneten
ÖOrganisationsformen gewährt sind, beizubehalten sind oder nicht. Auf-
gabe des Reiches kraft seiner Kompetenz - Kompetenz ist es, der
oberste Wächter und Bürge dafür zu sein, dafs den Anforderungen
der Nation an den Staat, von deren Erfüllung seine geistige und
wirtschaftliche Kultur abhängt, volles Genüge geschehe und dem-
semäls auch der Wirkungskreis der Einzelstaaten sich gestalte.
Irrtümlich ist der Einwand’, als ob es eine Eigentümlichkeit der
Kompetenz-Kompetenz des Reiches im Vergleiche mit der Suveränetät
des Einheitsstaates sei, dafs sie nur ein eventuelles oder latentes Recht,
eine rechtliche Möglichkeit darstelle. Sie ist aktuelles Recht und
aktuelle Pflicht einer steten Überwachung der gesellschaftlichen Kultur-
entwickelung und einer steten Bereitschaft zum Eingreifen. Vor allen
Dingen — auch die Suveränetät des Einheitsstaates ist immer
nur „potentielle Totalität des Zweckes, verbunden mit aktueller Par-
tialität desselben“ 6. Niemals besteht dieselbe in der aktuellen An-
eisnung aller in der Universalität des Staatszweckes als abstrakter
Möglichkeit enthaltenen Aufgaben, sondern immer nur in der plan-
mäfsigen, unter den gegebenen Bedingungen vollzogenen und mit deren
Wechsel sich ändernden Verteilung der Aufgaben zwischen dem Staate
und den übrigen gesellschaftlichen Organisationsformen, immer fallen
daher auch im Einheitsstaate der aktuellen Kompetenz nur einzelne
konkrete, in den zutreffenden Formen als Ermächtigung oder Vor-
5 Erhoben von Trieps und Bornhak. S.$ 34 Note 3 u. 18.
€ Rosin, Suveränetät, Staat etc. S. 26.