$ 140. Der Schutz der Reservatrechte. 817
Diese rechtliche Gestaltung des subjektiven Rechtes im Ver-
hältnis zum korporativen Verbande empfängt eine vollkommene und
durchgreifende Umwandlung durch die Suveränetät des Staates.
Kraft derselben giebt es im suveränen Staate keinerlei jura
singulorum. Denn seiner Kompetenz unterliegen alle gesellschaft-
lichen Verhältnisse, welche der rechtlichen Ordnung, also der recht-
lichen Zusammenstimmung mit der Gesamtordnung der Gesellschaft,
die der Staat selbst ist, fähig und bedürftig sind. Es giebt darum
kein subjektives Recht innerhalb des Staates, welches seinem Gemein-
zwecke fremd wäre.
Kraft derselben giebt es aber auch kein wohlerworbenes Recht,
welches aufserhalb der Kompetenz des Staates fiele. Allerdings ist
auch er gedrungen, im weitesten Umfange sich selbst gegenüber
wohlerworbene Rechte anzuerkennen. Aber um seiner Suveränetät
willen kann er ihnen rechtlichen Schutz nur in beschränktem Um-
fange gewähren.
Er bewirkt dies gegen willkürliche Eingriffe seiner Organe durch
die Gewährung ausreichender Rechtsmittel, aber immer nur mittels
und kraft der Rechtssätze, die er selber schafft und vor solchen In-
stanzen, die Bestandteile seines eigenen Organismus sind.
Gegen seine Gesetzgebung aber kann er Schutz nur ge-
währen zunächst durch die Anerkennung, dafs das wohlerworbene
Recht eine materielle. Schranke für ihn selbst bildet. Sie be-
währt sich rechtlich nur als ein durch die Gerechtigkeit gefordertes
lesislatives Motiv, welches die formelle Rechtsgültigkeit auch
des materiell ungerechten Gesetzes nicht bedingt.
Allerdings kann der Staat auch weiter gehen, wenn er jener
Anerkennung die rechtliche Kraft beimifst, dals die Erhaltung des
Grundsatzes der Unverletzlichkeit des wohlerworbenen Rechtes zur
rechtlichen Bedingung für die Rechtsgültigkeit des einzelnen gesetz-
geberischen Aktes wird. Aber er kann dies immer nur, indem er
den Grundsatz zum Bestandteil seines Verfassungsgesetzes er-
hebt. Der rechtliche Schutz reicht hier soweit, aber er reicht auch
niemals weiter, als dafs die besonderen und erschwerten Formen der
Verfassungsänderung nicht das subjektive Recht als solches und
unmittelbar, sondern nur die Geltung des objektiven Rechts-
satzes sichern, auf den sich die Unverletzlichkeit jenes gründet.
H. Der Rechtsschutz, welcher nach Malsgabe der Reichsver-
fassung den Reservatrechten der Einzelstaaten. zur Seite steht, ist,
soweit es sich um einzelne rechtsverletzende Verfügungen der Reichs-
organe handelt, kein anderer als derjenige, der jedem subjektiven
Binding. Handbuch. V. 1: Hänel, Staatsrecht. I. 92