$ 140. Der Schutz der Reservatrechte. 819
rechtigten Einzelstaätes, welche der Natur der Sache nach nicht: die
einzige Bedingung dieser Verfassungsänderung sein kann. Die
anderen Bedingungen aber sind im al. 1 des R.V. a. 78 vor-
geschrieben. Sie fordern für jede Verfassungsänderung den Weg
der (resetzgebung unter einer verschärften Majorität im Bun-
desrate.
Hieraus folgt, dafs auch die Aufhebung oder Abänderung einer
jeden Exemtion, als Vorschrift der Verfassung, in die Kompetenz-
Kompetenz des Reiches fällt. Sie ist Gegenstand der Gesetz-
gebung des Reiches; aber die Rechtsgültigkeit jedes eine Exemtion
betreffenden Gesetzes ist nicht nur an die gemeingültigen Formen
der Verfassungsänderung, sondern überdies an das besondere Er-
fordernis gebunden, dals sich in der zureichenden Majorität des
Bundesrates die bejahende Stimme des bevorrechtigten Einzelstaates
befinden muls.
Es folgt nicht minder, dafs die durch die Reichsverfassung fest-
gestellten Bedingungen für die Rechtsgültigkeit der Aufhebung oder
Abänderung einer Exemtion, als Verfassungsvorschrift, durch irgend
welche andere Formen nicht ersetzt oder durch irgend welche andere
Bedingungen nicht erschwert werden können, sei dies ein formeller
Vertrag mit den Einzelstaaten, sei dies die vorgängige oder nach-
trägliche Zustimmung der Einzellegislaturen ?.
Der Schutz daher, welchen die Reichsverfassung in diesem Be-
tracht gewährt, bezieht sich unmittelbar und formell nicht auf die
Reservatrechte, als subjektive Rechte der beteiligten Einzel-
staaten. Er bezieht sich unmittelbar und formell ausschlieflslich und
allein auf die Exemtionen, auf das objektive Recht, auf die
Verfassungsbestimmungen, aus welchen jene subjektiven Rechte ab-
geleitet werden und ausschliefslich abgeleitet werden können. Aber
dieser Schutz bewirkt es folgeweise, dafs jeder nicht in den vorge-
schriebenen Formen vorgehende Akt des Reiches, der eine Schmälerung
oder Aufhebung der Reservatrechte zur Absicht oder zum Erfolge hat,
als Widerspruch mit einer Verfassungsvorschrift rechtsungültig, null
und nichtig ist.
Mit dem allen aber ergiebt sich: Auch das Reich gewährt nach
seiner Verfassung den subjektiven Rechten seiner Mitglieder, ein-
schlielslich der Reservatrechte der Einzelstaaten, keinen anderen
Schutz, als dies der suveräne Staat seinem Wesen nach verinae. Auch
dem Reiche gegenüber giebt es keine jura singulorum seiner Mit-
? Hänel, Studien I 209 f.
52*