822 II. Buch. Die Reichsgewalt.
auf die Reichsverfassung selbst stützen. Denn der Ausspruch — Staatsrecht
I 114 —: „Das Erfordernis der Zustimmung des berechtigten Staates‘ — in
R.V. a. 78 Abs. 2 — „hat damit nichts zu thun, dafs Vorschriften der Verfassung
geändert werden, sondern nur damit, dafs »bestimmte Rechte einzelner Bundes-
staaten in deren Verhältnis zur Gesamtheit« geändert werden“, ist nur mög-
lich, wenn der Text der Verfassung als nicht geschrieben erachtet werden
soll. In jedem anderen Falle ist er der absolute Widerspruch, der einer
Widerlegung weder fähig noch bedürftig ist. Hiernach vermag sich Laband
nur auf Dreierlei zu berufen.
1. Auf die Bestimmungen der Bundesakte, a. 7. und der Wiener Schlufs-
akte, a. 15. Sie haben entscheidende Kraft erst wenn der Nachweis geführt
wird, dafs das rechtliche Verhältnis des Reiches zu den Einzelstaaten dasselbe
ist, wie das des ehemaligen Bundes zu den suveränen deutschen Staaten —
s. Annalen S. 1497 ff. —.
2. Auf die Bestimmungen des positiven Rechtes, welche privatrecht-
lichen Korporationen die Befugnis absprechen, über wohlerworbene
Sonderrechte ihrer Mitglieder ohne deren Zustimmung durch Beschlüsse zu
verfügen. Selbstverständlich hat auch dies nur irgend welche Bedeutung,
wenn der Satz Labands richtig ist — Annalen S. 1504 —: „Dieselbe Be-
deutung, welche bei den Korporationen des Privatrechtes die Vermögens-
sphäre der einzelnen Mitglieder im Verhältnis zur Vermögenssphäre der Ge-
samtheit hat, kommt bei der juristischen Persönlichkeit des Reichsverbandes
der Staatsgewalt der Einzelstaaten im Verhältnis zur Reichsgewalt zu“.
Richtig ist der Satz aber nur dann, wenn erst der Nachweis geführt ist, dafs
das Reich ein Staatswesen nicht ist. Denn das positive Recht des heutigen
Staates kennt wohlerworbene, insbesondere wohlerworbene öffentliche
Rechte nicht, welche nicht um des Staatszweckes willen durch die suveräne
— einfache oder verfassungsmälsige — Gesetzgebung entziehbar wären.
Auch für die Rechte der Standesherren konnte zur Zeit des deutschen Bundes
eine formelle Beschränkung der Gesetzgebung nur auf die Vorschriften der
Bundesakte und ihre Eigenschaft als Teil eines völkerrechtlichen Vertrages
gestützt werden. Schulze, Lehrb. d. d. Staatsr. I 401. 402. Seydel,
Bayer. Staatsr. I 610, insbesondere Note 2. v. Sarwey, Württemb. Staatsr.
18 67. Bornhak, Preufs. Staatsr.' I 297 ff.
3. Auf das Recht des ehemaligen deutschen Reiches — Annalen
S. 1492. 1496 —. Allerdings erkannte dasselbe unzweifelhaft an, dafs nicht
blofs „jura singulorum“ im technischen Sinne der Gesetzgebung des Reiches
nicht unterlagen, sondern ebenso wenig „jura quaesita“, welche die öffent-
liche Rechtsstellung der Stände im Verhältnis zum Reiche begründeten. Nur
galt dieser Grundsatz nicht blofs für jura singularia, also z. B. für die Sonder-
rechte der Kurfürsten, sondern für die landesherrlichen Rechte schlechthin,
wie sie durch allgemeine oder besondere Privilegien, durch Verleihungen,
Verträge oder auch nur durch unvordenkliche Verjährung erworben waren.
Es war dies der rechtliche Ausdruck für die feudale Ordnung der Gesellschaft,
welche auch die Zuständigkeit der öffentlichen Rechte nach Privatrecht und
darum als jura quaesita behandeln liefs, die zwar zur Strafe verwirkt werden
konnten, die aber obne solchen Verwirkungsgrund durch die Reichsgesetz-
gebung nicht aufgehoben oder geschmälert werden konnten. Es ist das die-
jenige Rechtsauffassung, welche das Reich als Staat definitiv zerstörte —