Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

$ 144. Das Wesen der Kolonialgewalt. 845 
über den so bestimmten Rechtskreis hinaus steht es bei dem Reiche, ob und 
wieweit es anerkennen und dulden will, dafs eingeborene Autoritäten 
oder Kolonialgesellschaften irgend welche Herrschaftsrechte über seine 
Angehörigen ausüben. 
Die Kolonialgewalt des Reiches über seine Angehörigen konsoli- 
diert sich damit zu einer vollen, jede Zwischenstellung eines deutschen 
Einzelstaates oder eines anderen fremden Staates ausschliefsenden 
Staatsgewalt. 
Hierdurch wurde es folgerichtig, dafs — nach $S 6 des Schutz- 
gebietsgesetzes — die längere Dauer des Aufenthaltes in den Schutz- 
gebieten im Sinne des $ 21 des Gesetzes vom 1. Juni 1870 einen 
Verlustgrund der Reichs- und Staatsangehörigkeit nicht bilden, dals 
bei Anwendung des Gesetzes vom 13. Mai über die Doppelbesteuerung 
das Schutzgebiet als Inland gelten soll. 
Hierdurch war aber auch die Möglichkeit gegeben, dafs durch 
die Aufnahme in jenen abgeschlossenen Personenkreis eine Reichs- 
angehörigkeit ohne die gemeingültige Voraussetzung der Angehörigkeit 
zu einem Einzelstaate begründet wurde. Demgemäls ist durch $ 6 
des Schutzgebietsgesetzes dem Reichskanzler die an andere kaiserliche 
Beamte übertragbare Ermächtigung erteilt, die Reichsangehörigkeit an 
Ausländer, welche in den Schutzgebieten sich niedergelassen haben, 
sowie an Eingeborene nach den gesetzlichen Vorschriften über 
Naturalisation zu verleihen und zwar mit der Wirkung, dals die 
Reichsangehörigkeit hier auch solche Rechte befalst, die gemeingültig 
die Angehörigkeit zu einem bestimmten Einzelstaat zur Voraussetzung 
haben, wie die Rechte aus R.V. a. 3, die Wählbarkeit zum Reichs- 
tage, das Recht zur Aufnahme in die Angehörigkeit eines Einzelstaates. 
2. Gegenüber den Angehörigen anderer Staaten nimmt 
die Kolonialgewalt die nämliche Stellung in den Schutzgebieten ein, 
wie die einheimische Staatsgewalt gegenüber den Fremden im 
Reichsgebiete. Sie unterwirft dieselben ihrer territorialen Herrschaft, 
aber sie erkennt ihnen kraft völkerrechtlicher Verpflichtung und kraft 
eigener Rechtsauffassung auch den Anspruch auf Rechtsschutz, wie 
den eigenen Angehörigen zu. Daher erstreckt sich die Gerichtsbarkeit 
des Reiches unmittelbar kraft des Konsulargerichtsbarkeitsgesetzes auf 
alle „Schutzgenossen“, d. h. auf die Angehörigen derjenigen Staaten 
(Österreich, Schweiz, Luxemburg), denen gegenüber dem Reiche die 
vertragsmälsige Verpflichtung konsularischen Schutzes obliegt, kraft 
G. Meyer, Staatsrechtliche Stellung S. 160, trotz seiner Polemik gegen Joel 
und v. Stengel.
	        
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