$S 144. Das Wesen der Kolonialgewalt. 847
kolonialen Zwecken des Reiches und seiner Angehörigen dienstbar
zu machen.
Diese Einseitigkeit der Kolonialgewalt schliefst es nicht aus, dals
das Reich sich auch den Beruf zuschreibt, „die Eingeborenen zur
Civilisation zu erziehen“, ihnen nach Möglichkeit die Bedingungen
einer menschenwürdigen Existenz zu gewähren, ihnen Hülfe und
Schutz gegen Bedrückung und Ausbeutung zu gewähren. So ist der
Kaiser durch $ 3 No. 1 des Schutzgebietsgesetzes ermächtigt, nach
seinem Ermessen die für die Reichsangehörigen bestimmte Rechts-
ordnung und Gerichtsbarkeit auch auf Eingeborene. zu erstrecken.
So ist es, wie schon in beschränkter Weise durch die Kongoakte vom
26. Februar 1885 geschehen ist, von der Generalakte der Brüsseler
Antisklaverei-Konferenz vom 2. Juli 1890 in Aussicht genommen, die
humanitären Bestrebungen für die Bevölkerung des Innern von Afrika
zur Höhe völkerrechtlicher Verpflichtungen unter den beteiligten
Staaten zu erheben. Allein mit dem allen sind rechtliche Pflichten,
zu denen die Eingeborenen die berechtigten Subjekte wären, nicht
begründet und nicht anerkannt.
Die Einseitigkeit der Kolonialgewalt bewirkt fernerhin keine ab-
solute, aulserhalb des Rechtes stehende Gewalt. Das Reich erkennt
nicht nur die eingeborenen Individuen als Personen im Sinne Rechtens,
sondern auch ihre hergebrachten Organisationen und Autoritäten
als solche an. Es hat daher behufs Regelung seines Verhältnisses zu
den Eingeborenen hunderte von Verträgen mit denselben entweder
selbst abgeschlossen oder die von anderen abgeschlossenen für sich
gelten lassen. Es ist zweifellos an dieselben rechtlich gebunden.
Aber diese Verträge — mit Ausnahme weniger, die im Beginne der
kolonialen Aktion nach dem unzutreffenden Schema eines völker-
rechtlichen Protektorates formuliert waren® — sind von dehnbarster
Weite. Sie sind zu gunsten des Reiches Anerkennungen der „Ober-
hoheit“ , Cession der „Suveränetät“ oder „aller Hoheitsrechte, der
Gesetzgebung und der ganzen Verwaltung“ oder gar — nach der
Formel der ostafrikanischen Gesellschaft — Abtretung der Gebiete
mit allen Rechten, „welche nach dem Begriffe des deutschen“ — oder
auch des „europäischen“ — „Staatsrechtes den Inbegriff staatlicher
Oberhoheit ausmachen“ ?. Sie bringen mit allen verschiedenen Formen
nur das eine zu einem verständlichen und verstandenen Ausdrucke,
6 Drucksachen des Reichstages 1885/86 No. 277.
7 8. die Verträge und Auszüge daraus im Weifsbuch des Reichstages 1885:
„Togogebiet und Biafrabai* und v. Stengel in Hirths Annalen 1837 S. 805 ff.