848 II. Buch. Die Reichsgewalt.
dafs sich das Reich, vorbehaltlich der Einhaltung der erteilten be-
sonderen Zusicherungen, das ganz allgemeine Recht zuspricht und
anerkennen läfst, das Verhältnis zu den Eingeborenen, zu ihren Or-
ganisationen und Autoritäten nach seinem Ermessen des Möglichen,
Nützlichen und Notwendigen, nach den Anforderungen, die sein und
seiner Angehörigen durch die Kolonialpolitik zu wahrendes Interesse
erheben, zu gestalten.
Endlich — mit ihrer Einseitigkeit ist die Kolonialgewalt von
höchster Anpassungsfähigkeit an die verschiedenartigen und wechseln-
den Zustände, auf die sie wirken soll. Sie schliefst darum auch eine
Überleitung in andere rechtliche Ordnungen nicht aus. Gewils ist es,
dals die gesellschaftlichen Zustände in den Schutzgebieten Afrikas
und Australiens eine solche Kulturstufe, eine solche Stetigkeit und
Planmälsiekeit der Organisationen, eine solche Emporhebung über
patriarchalische und despotische Gewaltverhältnisse nicht aufweisen,
welche die wesentlichen Merkmale eines Staatswesens entwickeln.
Allein die fortschreitende Kultur mag an einzelnen Orten und in
irgend einer Zeit zu gesellschaftlichen Ordnungen führen, denen
staatliche Natur zugesprochen werden kann. Das Recht, solche Fort-
schritte mit allen geeigneten Mitteln zu fördern und zu verwirklichen,
ist zweifellos in der Kolonialgewalt begriffen. An ihr wird es im
Falle des Gelingens sein, zu bestimmen, in welches Verhältnis zum
Reiche die staatlichen Gebilde alsdann zu stellen sind, mag es sich
alsdann um die Beeründung völkerrechtlicher. Protektorate oder um
eine Realunion oder um die Umgestaltung einzelner Gebietsteile zu
Provinzen des Reiches handeln.
Zur Zeit aber bestehen solche Bildungen nicht. Weder wird den
dortigen Organisationen eine selbständige staatliche Existenz im Ver-
hältnis zum Reiche zuerkannt, noch auch sind die Eingeborenen in
irgend welchem Sinne Staatsangehörige, Staatsunterthanen und Staats-
bürger des Reiches. Sie sind Untergebene, Unterworfene, wenn man
das Wort im untechnischen Sinne nimmt, Unterthanen einer ein-
seitigen, weil nur im einseitigen Interesse des Berechtigten und nicht
um jener selbst willen wirksamen Schutzherrschaft des Reiches, welche
Staatsgewalt im Verhältnis zu den Eingeborenen nicht sein will
und nicht ist.
I. Ist hbiernach die Kolonialgewalt ihrem Inhalte nach eine
eigenartige Herrschaft, die je nach den verschiedenen Personenkreisen,
auf die sie wirkt, einen durchaus verschiedenen rechtlichen Charakter
an sich trägt, so ist und bleibt sie doch ein integrierender Be-
standteil der Reichsgewalt.