850 II. Buch. Die Reichsgewalt.
letzteren. Jene Bestimmung des Schutzgebietsgesetzes bewirkt daher
nur eine besondere Verteilung der in der Kolonialgewalt enthaltenen
Zuständigkeiten unter die verschiedenen Organe des Reiches.
I. Die Gesetzgebung des Reiches bleibt auf Grund der
R.V. a. 4 Nr. 1 in den gemeingültig hierfür vorgeschriebenen Formen
den gemeingültig hierzu berufenen Organen und zwar im vollen Um-
fange des Wortes „Kolonisation“.
Das Schutzgebietsgesetz hat weder der Form noch seinem Inhalte
nach die Bedeutung eines Verfassungsgesetzes, wie dies die Ver-
fassungsgesetze für Elsafs-Lothringen haben. Es ist einfaches Gesetz
auf Grund und zur Ausführung der R.V. a. 4 Nr. 1. Es hat daher
nicht die Kraft irgend eine Bestimmung der Reichsverfassung und
damit die Kompetenz der gesetzgebenden Reichsorgane zur Gesetz-
gebung in allen Kolonialangelegenheiten aufzuheben oder zu schmälern.
Insbesondere findet nach Malsgabe desselben eine verfassungsmälsige
Scheidung zwischen solchen Angelegenheiten, die der gemeingültigen
Kompetenz des Reiches anheimfallen, und solchen besonderen Angelegen-
heiten, die die Schutzgebiete betreffen, nach Analogie der Reichs-
angelegenheiten und Landesangelegenheiten in Elsals- Lothringen,
nicht statt. Die Gesetzgebung des Reiches ist nach wie vor befugt,
ohne jede gegenständliche Scheidung und nicht blofs — wie in Elsals-
Lothringen -— unter dem legislativen Gesichtspunkte eines aulser-
ordentlichen Eingreifens, alle der rechtlichen Ordnung fähigen und
bedürftigen Verhältnisse der Schutzgebiete und in denselben sowohl
durch Gesetze unmittelbar als durch gesetzliche Ermächtigungen zu
Verordnungen zu regeln!. |
I. Nur in Ausführung und unter ungeschmälertem Vorbehalte der
verfassungsmälsigen Kompetenz der gesetzgebenden Organe ist dem
Kaiser die „Schutzgewalt“ zugeschrieben ?.
Aber dieselbe ist nach Wortlaut und Absicht des Gesetzes eine
weitausgreifende.
Sie befalst nicht nur die Funktionen der Vollziehung einschliels-
lich der Rechtsprechung, sondern auch der Gesetzgebung in der Form
der gesetzvertretenden Verordnung. Insbesondere ist der Kaiser er-
mächtigt, Strafbestimmungen bei Gefängnis bis zu 1 Jahre, Haft,
Geldstrafe und Einziehung einzelner Gegenstände über solche Materien
1 G. Meyer, Staatsrechtliche Stellung S. 190 ff.
2 Die Suveränetät in den Schutzgebieten würde man dem Kaiser mit
Bornhak — Arch. f. ö. R. II 10 — nur zuschreiben können, wenn ihm nach
der Verfassung eine suveräne Stellung auch im Verhältnis zur Reichsgesetz-
gebung zustünde. |