$ 145. Die organisatorische Verteilung der Kolonialgewalt. 851
anzuordnen, welche nicht Gegenstand des deutschen Strafgesetzbuches
sind. Und ebenso — jedoch beschränkt im Höchstbetrage der Ge-
fängnisstrafe auf 3 Monate — steht dem Reichskanzler das delegierbare
Recht zu, polizeiliche und sonstige die Verwaltung betreffende Vor-
schriften, den mit der Gerichtsbarkeit betrauten Beamten polizeiliche
Vorschriften bei Geldstrafen bis zu 150 Mark zu erlassen®.
Die kaiserliche Schutzgewalt bezieht sich ohne jeden Unterschied
auf alle Gegenstände, Verhältnisse, Thatbestände, welche in den
Schutzgebieten zur Entfaltung kommen und damit auf die „Koloni-
sation“ eine Beziehung gewinnen. Insbesondere ist es in ihr enthalten,
dafs der Kaiser nach seinem Ermessen über den territorialen Um-
fang, für den die Herrschaftsrechte des Reiches für seine kolonialen
Zwecke in Anspruch genommen werden können und sollen, einseitig
zu bestimmen hat. Er kann die Grenzen der Schutzgebiete einseitig und
nicht blols mit völkerrechtlicher Wirkung feststellen und abändern,
wie er denn in dem deutsch-englischen Abkommen vom 1. Juli 1890
art. II die deutsche Schutzherrschaft über Witu zu Gunsten von
Grofsbritannien zurückgezogen hat.
Die Schutzgewalt des Kaisers findet daher rechtliche Schranken
nur, aber sie findet sie auch unbedingt in dem Satze, dafs
durch dieselbe Reichsgesetze, welche in Ansehung der
Schutzgebiete Geltung haben, weder aufgehoben noch
abgeändert werden können. Denn nirgends ist dem Kaiser
die aulserordentliche Vollmacht, die der Form der Verfassungs-
änderung bedurft hätte, erteilt worden, die gemeingültige Reichs-
gesetzgebung aulser Kraft zu setzen.
Solehe Reichsgesetze sind aber nicht blofs diejenigen besonderen
Gesetze, die für die Schutzgebiete und für eine Angelegenheit der
Kolonisation ergangen sind. Es sind dies auch alle Reichsgesetze, die
allgemeine sind, d.h. solche Reichsgesetze, welche ihrer Absicht nach
ohne Rücksicht darauf, ob die zu regelnden Thatbestände innerhalb
oder aulserhalb des „Bundesgebietes* wirksam sind und ohne Rück-
sicht auf die besondere Natur der Angelegenheit, die sie ergreifen
können, Geltung haben sollen‘.
Dahin gehören insbesondere die Vorschriften der Reichs-
verfassung:
1. über die zur Rechtsgültigkeit erforderlichen Formen der
Anordnungen und Verfügungen des Kaisers. Auch die
® Schutzgebietsgesetz $3 No. 3. $ 11. Konsulargerichtsbarkeitsgesetz $ 4.
* G. Meyer, Staatsrechtliche Stellung S. 126. 208 ff.
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