Full text: Deutsches Staatsrecht. Erster Band: Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt. (1)

8 9. Die Organisationsformen der menschlichen Gesellschaft. 79 
Verschiedenartigkeit des Ergänzungsbedürfnisses wurzelt die Gliederung 
des Familienverbandes, die jedem Mitglied eine besondere Stellung in 
Recht und Pflicht zuweist und zugleich die Zuteilung der erforderlichen 
ordnenden und leitenden Herrschaftsrechte an die „Ältern“ und unter 
diesen an den „Familienvater“. Die Herrschaftsrechte selbst aber sind 
zwar immer zugleich mit Pflichten gegen die Angehörigen des Familien- 
verbandes verknüpft, aber sie sind nicht nur um dieser letztern willen 
gewährt, sondern sie flielsen zugleich aus dem eigensten Interesse des 
herrschenden Subjektes und sind darum eigene individuelle Rechte 
desselben. 
Mit dem allen gestaltet sich der Familienverband in jedem posi- 
tiven Rechte als ein durchaus eigenartiges Rechtsverhältnis, das seine 
Eigenart auch dann behauptet; wenn es in sittlicher Fortbildung über 
die nächsten natürlichen Bedüfnisse hinaus einen wachsenden Kreis 
der durch Blutsgemeinschaft, durch „Stamm“ Verbundenen befafst 
und selbst fremde Elemente — das „Gesinde“ im weitesten Sinne — 
sich angliedert. 
Seine Urwüchsigkeit und seine Universalität, welche die gesamte 
physische und geistige Entwicklung des Menschen ergreift, bewirkt es, 
dafs der Familienverband die historische Vorstufe für alle herrschaft- 
lichen Organisationsformen bildet, die sich aus ihm heraus zu selb- 
ständigen und höheren Ordnungen entwickeln, ohne doch jemals den 
Bestand und die Funktion desselben aufheben zu können. 
b. Dem Familienverbande verwandt, aber auf sehr verschiedenen 
natürlichen und historischen Voraussetzungen beruhend, sind die 
Autoritätsverhältnisse der Grundherrschaft und der persön- 
lichen Schutzherrschaft (Vostei). 
Die Grundherrschaft hat zur Voraussetzung eine Stufe der 
gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung, auf welcher das 
Eigentum an Grund und Boden die ausschlaggebende Bedingung für die 
Selbständigkeit der Wirtschaft und für den Einfluls auf die Gesell- 
schaft bildet. Hier erzeugt auf der einen Seite die Einwohnung auf 
fremdem Grundeigentum notwendig zugleich persönliche Abhängiekeits- 
verhältnisse, und auf der andern Seite setzt die Bewirtschaftung jedes 
gröfsern Grundbesitzes und die Behauptung der damit verbundenen 
Rechtsstellung die Verfügung über dienende Kräfte voraus. Auch die 
hierauf gegründeten herrschaftlichen Rechte der wirtschaftlichen Leitung, 
der Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung innerhalb des 
Grundbezirkes, der Vertretung der Eingesessenen nach aulsen sind 
individuelle d. h. Rechte der Person und für die Person des Grund- 
herrn über seine Grundholden, obwohl auch sie verknüpft sind mit
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.