240 Fünftes und Schlusskapitel.
Die Verfassung des deutschen Reiches selbst in ihrer Ge-
sammtheit, in allen ihren einzelnen Bestimmungen und selbst
in ihren Bezugnahmen auf Verträge hat zum gegenwärtigen
Grunde ihrer Rechtsverbindlichkeit keinen Vertrag irgend
welcher Art, sondern ausschliesslich das Gesetz.
Die Rechtsverhältnisse, welche sie selbst begründet, sind
weder in ihrer Gesammtbheit noch an irgend einem einzelnen
Punkte vertragsmässige, sondern ausschliesslich ver-
fassungsmässige d. h. sie sind die rechtliche Regelung
eines organischen Verhältnisses der Ueber- und Unterordnung.
Es giebt als Grundlage der Verfassung und des verfas-
sungsmässigen Rechtsverhältnisses keinen Vertrag und kein
vertragsmässiges Verhältniss, welche die Existenz, die Kompe-
tenz oder die organische Stellung der Einzelstaaten im Reiche
zum Gegenstande haben — weder im Verhältniss der Einzel-
staaten zum Reiche noch im Verhältniss der Einzelstaaten
unter einander.
Es besteht aber auch kein völkerrechtliches Ver-
hältniss der Nebenordnung der Einzelstaaten in ihrer Bezie-
hung zum Reiche.
Hierfür lag die Entscheidung bei den Bestimmungen über
die Verfassungsänderungen und hier wiederum vorzugsweise
bei der Beantwortung der Frage, unter welchen Bedingungen
eine Erweiterung der Kompetenz des Reiches statthaft sei.
Die Beantwortung ergab, dass das oberste Zeichen der
Suveränetät des Staates: die rechtliche Selbstbestimmung
seiner Kompetenz dem Reiche zufällt — in dem Umfange, dass
sie formell selbst da noch anerkannt ist, wo es sich um Ver-
fassungsvorschriften über Sonderrechte der Einzelstaaten
handelt. Damit ist das Reich ausschliesslich suverän. Denn
mit der suveränen Bestimmung seiner eigenen Kompetenz be-
stimmt es in endgültig entscheidender Weise über den Umfang
der Kompetenzen der Einzelstaaten, die um deswillen suverän
nicht sein können. Damit ist das Reich eine Potenz über den
Einzelstaaten auch in der Rechtssphäre, welche nach Mass-
gabe der bestehenden Bestimmungen der Verfassung ihrer