Allgemeine Erörterungen. 53
Rechtssatz der Reichsverfassung existirt, welcher bei
einer Auflösung des Reiches den Rückfall der übertragenen
Rechte an die Einzelstaaten vorschreibt. Denn eine Auflösung
des Reiches ist nicht nur nicht vorgesehen, sondern als gegen
die Absicht aller an der Gründung des Reiches Betheiligten
hingestellt. Sie — wie auch eine theilweise Preisgebung der
Reichskompetenzen — könnte unter allen Umständen im
Wege Rechtens nur durch ein Verfassungsgesetz ge-
schehen 3?, dem keine Massgaben seiner nähern Bestimmungen
gesetzt sind. Die Möglichkeit eines Rückfalles der Hoheits-
rechte des Reiches an die Einzelstaaten im Falle einer fak -
tischen Auflösung aber beweist für die Art der Zuständigkeit
dieser Rechte so wenig, als der Anfall der Suveränetätsrechte
an die Landesherrn durch die Auflösung des römischen Reiches
deutscher Nation die vorgängige Suveränetät der Landesherrn
bewiesen hat.
3. Die Reichsverfassung ist Gesetz nur als Landesgesetz
jedes einzelnen Staates, welches gleichmässig in allen Staaten
nur kraft ihres Vertrages gilt?*. — Dem steht die Thatsache
gegenüber dass, wie weder die nordamerikanische — sie ist
von den Konventionen der Einzelstaaten nur ratifizirt worden
— noch die schweizerische Bundes-Verfassung — sie trat in
Rechtskraft trotz der Verwerfung durch die Urkantone, Tessin
und! Appenzell - Innerrhoden —, so auch die deutsche
Reichsverfassung in der Geltung, in welcher sie gegenwärtig
ausschliesslich steht, in den Formen des Landesgesetzes nie-
mals publizirt worden ist. Die Reichsverfassung ferner hat
einen für das Landesgesetz jedes einzelnen Staates unmög-
lichen Inhalt. Sie bestimmt die Organisation und innere
Ordnung des Bundesrathes, welcher nur im Zusammenwirken
aller Einzelstaaten besteht, sie schafft einen Reichstag, in
welchem das „gesammte Volk“ Vertretung findet, sie ordnet
53 Wollte Seydel, Commentar, pag. 25, behaupten, dass eine Auf-
lösung des Reiches lediglich durch Vertrag aller Bundesglieder erfolgen
könne, so wäre das rein aus der Luft gegriffen.
54 Seidelin der Zeitschrift pag. 212. 223. Commentar pag. 5. 10. 14.