206 $ 11. Recht und Verrichtung. [110
Das Recht ist damit eine unerlässliche Bedingung, unter
welcher die Durchführung eines sittlichen Lebensplanes in der
Gesellschaft für den Einzelnen und eine Verbindung mensch-
licher Kräfte zur Erreichung gemeinschaftlicher Zwecke theo-
retisch denkbar und praktisch möglich ist. In dieser seiner
Funktion, die sein begriffliches Wesen ausmacht, ist das Recht
schlechterdings durch keine andere Normengruppe sittlicher,
technischer oder wirthschaftlicher Art zu ersetzen. Es ist ein
grober Fehler in der Analyse des Rechtes, seiner thatsäch-
lichen Erscheinungen und seiner thatsächlichen Wirkungen,
wenn uns Ethiker und Moralisten einreden wollen, dass in
einem vorgestellten Zustande höchster und allseitiger Sitt-
lichkeit das Recht keine Stelle mehr finde. Freilich noch
wunderlicher ist es, wenn Das selbst Juristen nachsprechen,
auch dann, wenn man, wie ich nicht thue, zugestehn will,
dass der Zwang im Sinne äusserlicher Zwangsmittel dem
innern Wesen und nicht blos der Technik des Rechtes ange-
hört. Das genaue Gegentheil ist der Fall. Jener ideale Zu-
stand, in welchem die reinste Gesinnung herrscht, die Ziele
des gesellschaftlichen Lebens sich schlechthin nach sittlichen
Grundsätzen bestimmen, und die vollendetste Technik ihre
Erfolge sichert, er ist nur denkbar bei der vollkommensten
Ausbildung des Rechtes, die in überall zutreffenden und für
Jedermann klaren Satzungen die Anerkennung und die Unter-
stützung feststellt und sichert, welche die eigenen Willens-
handlungen bei den Andern und die Willenshandlungen der
Andern bei uns selber finden müssen — eine Feststellung und
Sicherung, die auch die reinste Gesinnung, die sittlichste Er-
fassung aller Lebensaufgaben und die geschickteste Technik
nicht erbringt und nicht ersetzt.
Freilich, so unerlässliche Bedingung das Recht für die
Gesellschaft bildet, immer ist es nur seiner Natur nach eine
einseitige Bestimmung der menschlichen Willenshandlungen.
Wie es selbstverständlich die gesellschaftlichen Willenshand-
lungen zur thatsächlichen Grundlage hat, an denen es sich
regelnd bethätigt, so tritt es auch den sittlichen, wirthschaft-