Full text: Studien zum Deutschen Staatsrechte. Zweiter Band. (2)

Die Stellung des Reichskanzlers im Bundesrathe. 927 
sitz führt, während die Artikel 6 und 7 nur die stimmbe-- 
rechtigten Mitglieder, das beschliessende Gremium be- 
träfen, abgesehen von den Bestimmungen über den Vorsitz. 
Aber trotz der Unzulänglichkeit der Argumentation bleibt die 
dadurch vertretene Auffassung die richtige. Nur findet sie 
ihren entscheidenden Stützpunkt nicht hier, sondern in der 
verfassungsmässigen Bezeichnung und Anerkennung der „Prä- 
sidialstimme.“ 
In dem Entwurfe der Verfassung wurde die Stimme 
Preussens vollkommen zutreffend Präsidialstimme genannt und 
zwar nicht darum, weil Preussen als Bundes-Präsidium eine 
vollziehende Gewalt für den Bund ausübte, sondern weil es 
die Stimme desjenigen Staates war, dem das Bundesraths- 
präsidium zustand, dessen Bevollmächtigter Vorsitzender des 
Bundesrathes war. Dass dies letztere der Grund war, geht 
aus der ersten! und massgebenden Stelle hervor, an welcher 
der Entwurf von einer Präsidialstimme im a. 7 sprach: „Bei 
Stimmengleichheit giebt die Präsidialstimme den Ausschlag.“ 
Denn es ist hier, wie gemeinhin in der Verfassung aller 
Kollegien, der Ausschlag bei Stimmengleichheit dem Leiter 
der Verhandlungen gegeben, eben weil er dieses ist. 
Aber auch dies hat die beschlossene Verfassung gegen- 
über dem Entwurfe geändert und verschoben. Präsident des 
Bundesrathes ist nicht mehr ein preussischer Bevollmächtigter 
als solcher, sondern der Reichskanzler, ein kaiserlicher Be- 
amter. Dagegen ist die Stimme, welche in den durch die 
Verfassung vorgesehenen Fällen den Ausschlag im Bundes- 
rathe giebt, nicht zu einer kaiserlichen, nicht zu einer „Prä- 
sidialstimme“ in diesem Sinne geworden; sie ist zweifellos die 
Stimme Preussens, als Einzelstaates geblieben. Wenn nun trotz 
dieser wesentlichen Aenderung doch der preussischen Stimme 
weiterhin die Bezeichnung und Eigenschaft einer „Präsidial- 
stimme,“ „Stimme des Präsidium“ durch die Verfassung bei- 
ı Die frühere Erwähnung im a.5 beruht auf einem Beschluss des 
Reichstages.
	        
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