32 Die Substitutionsbefugniss des Reichskanzlers.
Organ des Bundesrathes. Ihm dient ausschliesslich zur Richt-
schnur seines Handelns die Geschäftsordnung, die, soweit sie
nicht verfassungsmässig festgestellt ist, der Bundesrath sich
selber giebt. Mag die Ernennung als ein Ehrenrecht des
dazu Berechtigten sich darstellen, mögen Vorsitz und Geschäfts-
leitung thatsächlich einen politisch nicht unbedeutenden Ein-
fluss gewähren, es bleibt die Aufgabe des Präsidenten als
solchen, nicht etwa den Willen und das Recht eines Dritten
gegenüber dem Kollegium zu vertreten, sondern dem Willen
und dem Rechte des Bundesrathes den richtigen Ausdruck zu
verschaffen.
Mit dieser selbständigen Stellung des Präsidenten, als
Organes des Bundesrathes, stand es im Einklang, wenn der
a. 16 des Entwurfes bestimmte: „Der Bundeskanzler kann
sich in Leitung der Geschäfte durch jedes andere Mitglied
des Bundesrathes vermöge schriftlicher Substitution vertreten
lassen.“ Denn hiermit war nur die Sorge für seine Vertre-
tung als von dem Ernennungsrecht unabhängiges Recht und
Pflicht des Präsidenten, als ein Bestandtheil seiner Präsidial-
befugniss erklärt, und es war selbstverständlich, dass er seine
Vertretung nur innerhalb des Bundesrathes in einem andern
Bevollmächtigten suchen durfte.
Aber auch hier wurde eine Störung der ursprünglichen
Uebereinstimmung durch den Beschluss zu a. 18 (jetzt 17)
bewirkt, welcher die Doppelstellung des Bundeskanzlers als
Präsidenten des Bundesrathes, was er allein nach dem Ent-
wurfe war, und als leitenden Ministers des Präsidiums herbei-
führte. Diese Doppelstellung gewann — freilich nur kraft einer
Rückwirkung jenes Beschlusses zu a. 18, nicht der anfäng-
lichen Absicht nach — einen Ausdruck auch in dem vorher-
gehenden a. 16 (jetzt 15), den der Reichstag an Stelle des
verworfenen a. 12 des Entwurfes beschlossen hat. Wenn es
daselbst heisst: „Der Vorsitz im Bundesrath und die Leitung
der Geschäfte steht dem Bundeskanzler zu, welcher vom Prä-
sidium zu ernennen ist“, so tritt gegen den Sinn und den
Wortlaut des a. 12 des Entwurfes eine Scheidung hervor