Full text: Studien zum Deutschen Staatsrechte. Zweiter Band. (2)

46 Gesetzgebung und vollziehende Gewalt. 
unterziehen, ob sie in formell gültiger, insbesondere den 
Vorschriften der Verfassung entsprechender Weise gefasst 
sind?; 
hat der Kaiser das Recht, auch aus materiell politischen 
Gründen, einer vom Bundesrathe beschlossenen Vorlage die 
Einbringung beim Reichstage zu verweigern? 
Die erste Frage ist zu bejahen. 
Ist nach der neuen Fassung zweifellos die Initiative gegen- 
über dem Reichstage das eigene Recht des Kaisers, steht sie 
ihm nicht zu als einem Organe des Bundesrathes, in dessen 
Namen und — in diesem Sinne — unter dessen Verantwort- 
lichkeit, sondern kraft kaiserlichen Amtes, im eigenen Namen 
und — in diesem Sinne — unter seiner Verantwortlichkeit, 
so folgt daraus, dass der Kaiser das selbständige Recht und 
die selbständige Pflicht der Prüfung hat, ob die rechtliche 
Voraussetzung für die Ausübung dieser seiner verfassungs- 
mässigen Kompetenz in jedem einzelnen Falle zutrifft. Diese 
Voraussetzung ist aber immer nur ein Beschluss des Bundes- 
rathes im Sinne der Verfassung, d. h. ein solcher Beschluss, 
der in den Formen der Entstehung die seinem Inhalte ent- 
sprechenden rechtlichen Erfordernisse der Gültigkeit erfüllt. 
Besteht über die Erfüllung dieser Erfordernisse zwischen dem 
Kaiser und dem Bundesrathe Streit, so fehlt jeder zureichende 
Grund, welcher die Entscheidung des Kaisers der massgeben- 
den und damit höheren Entscheidung des Bundesrathes unter- 
würfe. Denn der Kaiser als solcher ist nirgends, auch nicht 
da, wo seine Rechte verfassungsmässig durch einen Beschluss 
des Bundesrathes bedingt sind, eine dem Bundesrath unter- 
geordnete Instanz. 
Hieraus ergiebt sich der praktisch vorzugsweise in’s Ge- 
wicht fallende Satz, dass der Kaiser nicht verpflichtet ist, 
eine vom Bundesrathe mit einfacher Majorität beschlossene 
Gesetzesvorlage dem Reichstage vorzulegen, wenn nach seiner 
Prüfung die Formen der Verfassungsänderung nach a. 78 er- 
forderlich sind. Es ergiebt sich umgekehrt aber nicht, dass 
der Kaiser das Recht habe, eine mit einfacher Majorität be-
	        
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