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Zwangserziehung Minderjähriger, statthaft. Nach
G. 11. 11. 05, Rgbl. 290, ist das Wort Zwangs-
erziehung in diesem G. überall durch das Wort
„Fürsorgeerziehung“ ersetzt. Die reichs-
rechtlichen Fälle des Boen. sind in
§ 1666 und 1838 gegeben. Nach § 1666
hat das Vorm Ger., falls das geistige oder
leibl. Wohl des Kindes dadurch gefährdet wird,
daß der Vater oder die Mutter (5 1685) das Recht
der Sorge für die Person des Kindes mißbraucht,
das Kind vernachlässigt, oder sich eines ehrlosen
od. unsittl. Verhaltens schuldig macht, die zur Ab-
wendung der Gefahr erforderl. Maßnahmen zu
treffen; insbes. kann es anordnen, daß das Kind
zum Zweck der Erziehung in einer geeigneten
Familie oder einer Erziehungs= bzw. Besserungs-
anstalt untergebracht wird. Die gleiche Anordnun
kann das Vormundschaftsger. ohne weiteres nach
§ 1838 treffen, falls das Kind unter Vormundsch.
steht und dem Vater oder der Mutter (z. B. der
unehel. Mutter) die Sorge für die Person des
Mündels nicht zukommt. Einen weiteren
Fall bietet § 1631, wonach das Vorm Ger. auf
Antrag des Vaters ihn in der Erziehung seines
Kindes durch Anwendung geeigneter Zuchtmittel
zu unterstützen hat und als geeignetes Zuchtmittel
gilt speziell die Fürsorgeerziehung; der Antrag
kann von der Mutter gestellt werden, falls der
Vater an der Ausübung der elterl. Gewalt tat-
sächl. verhindert ist, oder seine elterl. Gewalt ruht,
§ 1685. Den reichsrechtlichen Fall des
Strafgesetzbuches enthält § 56 daselbst,
wonach der Strafrichter bezüglich eines lediglich
wegen mangelnder Einsicht in die Strafbarkeit
seiner Handlung freigesprochenen Minderj. im
Alter von 12—18 J. im Urteil zu bestimmen hat,
ob er seiner Familie zu überweisen oder in eine
Erziehungs= oder Besserungsanst. zu bringen sei;
wird letztere Bestimmung getroffen, so ist er in der
Anstalt so lang zu behalten, als die den An-
stalt vorgesetzte Verwaltungsbehörde dies für
erforderlich erachtet, jedoch nicht über das voll-
endete 20. Lebensj. Auf Grund von § 55 StGB.
können gegen einen bei Begehung der Straftat
noch nicht 12 J. alten Minderj. nach Maßgabe der
landesges. Vorschr. die zur Besserung und Beauf-
sichtigung geeigneten Maßregeln getroffen werden,
die Unterbringung in einer Familie, Erziehungs-
oder Besserungsanst. aber nur, wenn durch Beschl.
des Vormundschaftsger. die Begehung der Straf-
tat festgestellt und die Unterbringung für zulässig
erklärt ist. Die hierauf sowie auf Art. 135 E. z.
BG#. beruhende landesrechtliche Anordnung
der FE. eines sittl. verwahrlosten Minderj. um-
faßt nach G. 29. 12. 99, VV. Min Just. u. In. 14.
2. 00, Rabl. 120 f., folg. zwei Fälle: 1. wenn
der Minderj. vor Vollendung des 12. Lebensj. eine
Handlung begangen hat, die im Fall der Be-
gehung durch einen Strafmündigen sich als Ver-
brechen oder Vergehen oder als Uebertr. i. S. d.
§ 361 Z. 3 od. 4 StG. (Landstreicherei od. Bettel)
darstellen würde, und die FE. mit Rücksicht auf die
Beschaffenheit der Handlung, auf die Persönlich-
keit des Minderj., seiner Eltern oder sonst. Er-
Fürsorgeerziehung.
zieher und auf seine übr. Lebensverhältnisse zur
Verhütung weiterer sittl. Verwahrlosung erforder-
lich ist, oder 2. wenn sonst. Tatsachen vorliegen,
die die FE. zur Verhütung des völligen sittl. Ver-
derbens notwendig machen. Diese landesges. Fälle
setzen im Unterschied von den reichsrechtl. des
§* 1666 BGB. nicht ein Verschulden der Eltern an
der Verwahrlosung des Kindes notwendig voraus,
dagegen muß ein gewisser Grad von sittl. Ver-
wahrlosung des Minderz. bereits vorhanden sein.
Sie gliedern sich in 2 Gruppen, in eine
auf dem Gebiet des Strafrechts liegende, wo wegen
mangelnder Strafmündigkeit eine strafrechtl. Ver-
folgung noch nicht eintreten darf, und in eine
Gruppe von Fällen i. S. des Art. 135 EG. z.
BG., die ihren Grund in zufälligen in- oder
außerhalb der Person des Minderj. liegenden Ver-
hältnissen oder Tats. haben, die bereits die sitt-
liche Verwahrlosung dess. mit sich führten und zu-
gleich die Gefahr völligen sittl. Verderbens in sch
schließen. Auch darf in beiden landesges. Fällen
die FE. nur angeordnet werden, wenn die Er-
ziehungsgewalt der Eltern oder sonst. Fürsorger
(Vormund oder Pfleger) und die Zuchtmittel der
Schule sowie anderweitige, der Gefahr sittl. Ver-
wahrlosung des Minderj. vorbeugende Maßregeln
sich als unzulänglich erweisen und wenn dem Be-
dürfnis nach einer geordneten Erziehung nicht auf
anderem Wege (durch öff. Armenpflege oder die
Vereinstätigkeit) ausreichend entsprochen wird,
Art. 1 FEG. 29. 12. 99. Wo lediglich Hilfsbedürf-
tigkeit eines Kindes oder seiner Eltern vorliegt
(durch Krankh., Armut), haben zunächst die Armen-
beh. einzutreten.— Die Anordung der Fel. steht
sowohl für die reichsrechtl. Fälle des BG., § 1666,
1838, als die landesges. Fälle, oben Z. 1, 2, dem
Vormundschaftsger. zu, für die Fälle des § 56
RSt G. dem Strafgericht — und zwar ist Vor-
mundschaftsger. hier überall (abgesehen vom Fall
des § 1631 BGB.) das Amtsgericht (nicht das sog.
ord. Vorm Ger. in jeder Gde.), in dessen Bez.
der Minderj. z. Zt. des amtl. Einschreitens seinen
Wohnsitz und in Ermangelung eines solchen seinen
Aufenthalt hat, evtl. wo er seinen letzten inländ.
Wohnsitz hatte oder wo er aufgefunden wurde. Die
FE. darf in den Fällen des BG. wie des Landes-
gesetzes nur vor Vollendung des 16. Lebensj. an-
geordnet werden. Das Amtsger. beschließt auf An-
trag oder von Amts wegen; antragsberechtigt find
die Eltern, Großeltern, Vormund, Gegenvormund
oder Pfleger des Minderj., der Beistand seiner
Mutter sowie die Beh., die von der Verwahrlosung
eines Minderj. Kenntnis erhalten; auch hat die
Staatsanwaltschaft von den oben in 3. 1 be-
zeichneten strafbaren Handlungen dem VormGer.
Mitteilung zu machen und ebenso wie die Ge-
richte von Umständen, die in sonst anhängigen
Sachen ihnen bekannt geworden und den Ver-
dacht einer Verwahrlosung des Kindes begründen,
Ming Abl. 1907 77. Auch kann jede andere Person
oder ein Jugend-- bzw. Kinderrettungsverein dem
Amtsgericht Anzeige von einem Verwahrlosungs-
fall erstatten, worauf dieses von Amts wegen sich
schlüssig zu machen hat, § 3 VV. Vor der Be-