Full text: Handwörterbuch der Württembergischen Verwaltung.

610 
Politische Vereine s. Vereinsrecht. 
Polizei. I. Was man unter P. zu verstehen 
hat, darüber sind sich Theorie und Praxis nicht 
einig und die verschiedenartigsten Begriffsbestim- 
mungen nehmen in der Litteratur des deutschen 
Verwaltungsrechts einen großen Raum ein. Auch 
das württ. Pol Str Ges. v. 27. 12. 71, die Novellen 
vom 21. 8. 79 u. v. 4. 7. 98 enthalten keine 
Begriffsbestimmung der P. Daß der Begriff P. 
nach dem heutigen Sprachgebrauch ein viel engerer 
eworden ist als noch im Anfang des 19. Jahr- 
hunderts, ist aber feststehend. In der 4. (neucsten 
Auflage) des bekannten Lehrbuchs des utschen 
Verwaltungsrechts von Georg Meyer S. 7 
u. 8 ist der Begriff folgendermaßen gekennzeich- 
net: „P. bedeutet die Tätigkeit der inneren Ver- 
waltung, die sich als Beschränkung der pershnl. 
Freiheit des Einzelnen äußert. Sie kann in der 
Form von Zwang auftreten, der entweder in der 
Anwendung unmittelbarer physischer Gewalt oder 
im Erlaß von Geboten und Verboten unter An- 
drohung von Strafen bestehen kann. Der Zweck 
dieser polizeilichen Tätigkeit ist vorzugsweise 
aber nicht ausschließlich die Beseitigung von 
Gefahren. Die P. im modernen Sinne ist daher 
nicht identisch mit der alten Sicherheitspolizei. 
Nicht jede Maßregel zur Abwendung von Gefahren 
hat einen polizeilichen Charakter. Andererseits 
werden polizeiliche Maßregeln auch da in Anwen- 
dung gebracht, wo es sich nicht um Abwendung von 
Gefahren, sondern um positive Forderung han- 
delt.“ Bei dieser Definition vermißt man, wie Dr. 
Jungel in seiner Arbeit „der Begriff der Poli- 
zei im württ. Recht“ zutreffend ausführt, die 
Kennzeichnung des Schutzobjekts. ME. kann 
seiner Definition, welche aus der geschichtlichen 
Entwicklung des Polizeibegriffs in Württem- 
berg in überzeugender Weise herausgearbeitet ist, 
ohne Bedenken beigetreten werden. Jungel unter- 
scheidet zwischen dem engeren und dem wei- 
teren Begriff der Polizei. Nach jenem ist 
P. diejenige Tätigkeit der inneren Ver- 
waltung, welche unter Beschränkung 
der persönlichen Freiheit des Einzelnen 
die Abwehr von Gefahren für das 
öffentliche Wohl zum Zweck hatj; nach 
diesem diejenige Tätigkeit der inneren Verwal- 
tung, welche die Abwehr von Gefahren für das 
öffentl. Wohl und des Einzelnen zum 
Zweck hat. Mit andern Worten, da, wo es 
sich um die Abwehr von Gefahren für das öf- 
fentl. Wohl handelt, wirkt die P. mit Zwang 
und Befehl gegenüber den Untertanen, im andern 
Fall tritt die P. pflegend, nicht zwingend 
in Tätigkeit. — In Württ. ist die P. in ihren Be- 
fugnissen nur insoweit beschränkt, als ihr ausdrück- 
lic gesetzliche Schranken gezogen sind. Wie schon 
gesagt, ist in den einschlägigen württ. Gesetzen usw. 
eine Bestimmung des Begriffes P. nicht zu finden, 
es ist vielmehr der Praxis überlassen, sich eine 
solche zu bilden. Der für W. die Rechtskontrolle- 
instanz bildende VerwGGerichtshof hat da und dort 
in Urteilsbegründungen den Begriff P. des nähe- 
ren zu erläutern versucht, so findet man z. B. in 
Politische Vereine — Polizei. 
dem Urteil vom 5. 10. 10, Württ J. 23 244, folgende 
Stellungnahme zu dem Begriff P.: .. Denn den 
PBeh. steht als Ausfluß der in der allg. 
Staarsgewalt enthaltenen Polizei- 
gewalt das Recht zu, in dem ihrer Fürsorge 
anvertrauten Bereich der öff. Verw. u. innerhalb 
ihrer gesetzl. Grenzen die unumgänglich notwen- 
dige Ordnung im Gemeinwesen entsprechend dem 
Bedürfnis der Bevölkerung gegen drohende Ge- 
fahren zu schützen und insoweit die persönliche 
Handlungsfreiheit der einzelnen entsprechend zu 
beschränken. Demnach können die PBehörden auch 
da, wo die Art und Weise der Benutzung eines 
Bauwerks eine Schädigung oder Gefährdung des 
öff. Wohls begründet, insoweit einschreiten, als 
nicht besondere Bestimmungen des Reichs= oder 
Landesrechts oder besondere Eigenrechte dem ent- 
gegenstehen. .“ — II. Die Befugnis der P. zum Ein- 
schreiten beruht auf der PWGewalt. Die P.= 
Gewalt bedient sich zur Erfüllung ihrer Aufgabe 
des P Befehls gegenüber dem zur Gehorsams- 
pflicht verbundenen Untertanen. Zur Erlassung 
des PBefehls ist die PBehörde zuständig. — 
III. In Württ. versteht man unter PBehörden 
die Behörden der inneren Verw., also das Minist. 
d. J., die Kreisregierungen, die Oberämter und 
die Ortsvorsteher, ferner die Eisenbahnstellen u. 
die Hafendirektion in Friedrichshafen. — Weiter 
ist zu unterscheiden zwischen Ortsp.= u. Lan- 
desp B., doch beruht der Unterschied zwischen 
diesen Beh. nicht so sehr in der Verschiedenheit 
ihrer Aufgaben, als vielmehr auf dem räumlichen 
Gebiet, auf welches sich ihre Tätigkeit erstreckt. — 
Als eine Einrichtung der Landespol. ist die 1 Lan- 
bespolizeizentralstelle # am 15. 4. 14 begründet 
worden. Ihre Aufgaben sind folgende: Sie ist 
Zentrale für das ganze Land auf dem Gebiet 
des Erkennungsdienstes; hierzu gehört 
vor allem die Vergleichung von Fingerab- 
drücken zum Nachweis der Persäönlichkeit u. die 
Verwertung der Tatortfingerspuren für 
die Ueberführung des nicht geständigen Ver- 
brechers, auch die Körpermessung nach dem 
Bertillon'lschen System wird, wenn auch nur noch 
in beschränktem Umfang von der LPZ. besorgt. 
Weiter ist bei der LP#.# eine Steckbrief- 
sammlung eingerichtet, ebenso eine Licht- 
bilderwerkstätte zur Aufnahme von Licht- 
bildern von zugelieferten unbekannten Personen 
und Verbrechern (Verbrecheralbum), endlich hat 
sich die LP.3. mit der Regelung des Zigeuner- 
nachrichtendienstes, mit der Einrichtung zur Be- 
kämpfung des Süßstoffschmuggels zu be- 
fassen und ist mit der Prüfung der Bildstreifen 
für die Lichtspiele i. S. des Lichtspielges. v. 31. 3. 
1914 beauftragt. — Ortspolizeiliche Auf- 
gaben liegen der LPZ. nicht ob, sie ist demnach 
nicht befugt, verdächtige Personen zu überwachen, 
Festnahmen, Durchsuchungen usw. anzuordnen 
oder sonstwie in die Zuständigkeit der Bezirks- 
Oder Ortspol Beh. oder der Landjägerstellen ein- 
zugreifen, wogegen sie aber verpflichtet ist, ihre 
Einrichtungen in den Dienst der ausübenden Pol.= 
Beh. zu stellen. — Die Mittel für die Errichtung
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.