Full text: Handwörterbuch der Württembergischen Verwaltung.

Armenwesen. 
Zwang unterliegt; fie ist daher bei Ausübung 
ihrer Parsorge nicht so begrenzt wie die öff. und 
kann dem Notwendigen das Nützliche und Wün- 
schenswerte hin zufügen. Da es zur Beurteilung 
s Grades der Hilfsbed., wie zur richtigen Be- 
messung der Unterst. notwendig ist, die Bezüge der 
Hüfesuchenden aus anderen Quellen zu kennen, so 
ist eine planmäßige Verbin dung zwischen 
der öff. A. und der privaten Liebes- 
tätigkeit nicht zu entbehren: Gegenseitige Aus- 
kunftserteilung über bedürftige Pensonen und 
Wohltätigkeitseinrichtungen, planmäßiger Mei- 
nungsaustausch zwischen den verschiedenen Orga- 
nen der A. und Wohltätigkeit. Als staatliche Ein- 
richtung für die Förderung der Privatwohltätigkeit 
besteht in W. die Zentralleitung des 
Wohltätigkeitsvereins, (. d., unter deren 
Aufsicht die württ. Sparkasse steht, s. d. Un- 
abhängig von dieser Landeseinrichtung bestehen in 
W. die von den Amtskörperschaften oder Gemein- 
den errichteten und betriebenen Oberamts- 
und Gemeindesparkassen, s. d. Die für 
Ausübung der öff. A. erforderliche Verwaltungs- 
einrichtung zeigt 3 verschiedene Formen: sie ist 
bureaukratisch, ehrenamtlich oder ge- 
mischt; bureaukratisch, wo die A. mit der 
übrigen Gemeindeverwaltung in der Art vereinigt 
ist, daß die Geschäfte von den zur allgem. Gde.-= 
Verwaltung berufenen Beamten mitbesorgt wer- 
den; ehren amtlich da, wo unbesoldete Kräfte 
(Helfer) nicht nur als Hilfsorgane der amtlichen 
Verwaltung zu Erkundigungs-, Kontrollzwecken 
usw., sondern zugleich mit der Befugnis zur Ent- 
scheidung über Unterst Gesuche zur Verwaltung her- 
angezogen werden; gemischt, wenn sich die 
Tätigkeit der nicht bezahlten Personen darauf be- 
schränkt, die Sachlage zu erforschen und durch Be- 
richte die Unterlagen für die Entscheidungen der 
Behörden zu liefern. Die Gesetzgebung beschränkt 
sich i. d. R. auf die Bezeichnung der zur Aus- 
übung der A. berufenen politischen Körperschaft, 
während sie die Bestellung der sonstigen AOrgane 
der örtlichen Bestimmung durch Gemeindesatzung 
überläßt. In W. ist die OAbeh. zur Verwaltung 
der öff. A. berufen. Von den bürgerlichen Kol- 
legien können besondere dem Gemeinderat unter- 
geordnete Deputationen aus Mitgliedern der 
bürgerl. Koll. auch unter Zuziehung anderer Orts- 
einwohner für die Verw. der gesamten öff. A. und 
ebenso Kommissionen für einzelne Zmpige 
oder Anstalten der A., endlich auch für einzelne 
Bezirke der Gemeinde besondere Armen- 
pfleger bestellt werden, AGU WG. Art. 9 u. 10, 
GdO. Art. 10, 31, 72. — 2. Das Elberfel- 
der System. Der Erfolg jeder A. hängt in 
erster Linie von der genauen Beobachtung und 
der eigentümlichen Behandlung jedes einzelnen 
AFalls ab. Die A. hat, indem sie jeden einzelnen 
Pflegefall genau untersucht und fortgesetzt sorg- 
faltig überwacht, vornehmlich darauf zu sehen, dem 
Verarmten nicht nur den notwendigen Lebens- 
unterhalt zu verschaffen, sondern ihm auch durch 
heeignete fittliche und wirtschaftliche Kräftigung 
die Wiedererlangung wirtschaftlicher Selbständig- 
Haller, Handwörterbuch. 
  
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keit zu ermöglichen. Diese Forderung hat die Stadt 
Elberfeld durch eine im Jahre 1852 geschaffene 
Einrichtung mit Erfolg nachhaltig durchgeführt. 
Das Wesen d. seg „Elberfelder Systems“ 
ist: „Individualisierung“ und „De- 
zentralisation". Zur Ausübung der A. ist 
die Stadt in Quartiere eingeteilt mit je 
einem Armenpfleger an der Spitze. Die 
Größe der Ouartiere ist derart, daß auf den Pfle- 
ger nicht mehr als 2—4 Pflegfälle kommen. Jedes 
Unterstützungsgesuch ist bei dem Apfl. des Qu. an- 
zubringen, der sich durch eine sorgfältige, min- 
destens alle 14 Tage zu wiederholende persönliche 
Untersuchung genaue Kenntnis von den maßgeben- 
den Verhältnissen verschafft, das Ergebnis seiner 
Ermittlungen feststellt (Abhörbogen), auf den Be- 
dürftigen und dessen Familie auch erzieherisch ein- 
wirkt, unter Umständen auch polizeiliches Ein- 
schreiten herbeiführt. Je 14 Ou. find zu einem 
Bezirk unter einem BezVorsteher vereinigt. 
Dieser versammelt die APfleger seines Bez. alle 
14 Tage zur Beratung und Entscheidung über die 
UgFälle. Keine U. wird auf länger als 14 Tage 
bewilligt. Die erneute Notwendigkeit der Erörte- 
rung soll den Pfl. zwingen, die Voraussetzungen 
der U. stets wieder neu zu prüfen und so mit dem 
Bedürftigen, dem er zugleich wohlmeinender Be- 
rater werden soll, in Fühlung zu bleiben. Nur in 
dringenden Fällen sind Pfl. und Vorsteher allein 
befugt, sofortige vorl. U. zu gewähren. Indem die 
Pfl. zu selbstverantwortlichen Organen der A. ge- 
macht wurden, hat man ihre Stellung so wirksam 
gehoben, daß das Amt von Angehörigen aller 
Kreise gesucht wird. Der Zentralverwal- 
tung (Bürgermeister usw.) liegt die Oberleitung 
der A., die Aufnahme in Anstalten, die Entschei- 
dung in besonderen Fällen ob; mit dem Gesetz 
oder der Geschäftsordnung nicht übereinstimmende 
Beschlüsse der BezVersammlung kann sie bean- 
standen und eine neue Untersuchung herbeiführen. 
Im übrigen soll sie vornehmlich die Ursachen der 
Armut in der Gemeinde erforschen und denselben 
durch geeignete Maßnahmen vorzubeugen und ab- 
zuhelfen suchen. Die glänzenden Erfolge des 
„Elberfelder Systems“ veranlaßten zahlreiche 
Städte des In= und Auslandes, ihre A. nach 
diesem Mufter, z. T. mit Aenderungen, einzurich- 
ten. — 38. Die einzelnen Arten der Un- 
terstützung. Art und Maß der U. find nach 
dem Grundsatz der Individualisierung dem einzel- 
nen UFall anzupassen. Je nach Wahl der UForm 
unterscheidet man offene (Haus-) und ge- 
schlossene (Anstalts-)Pflege. Bei der U. in 
offener Pfl. werden dem Armen die erforderlichen 
Unterhaltsmittel zur Verwendung im eigenen 
Haushalt dargereicht, so daß der Unterstützte seine 
wirtschaftliche Selbständigkeit behält. Bei der U. 
in geschlossener Pfl. wird der Bed., indem er die 
eigene Wirtschaft aufgibt, in einer Anstalt unter- 
gebracht, wo er alles zum Unterhalt Erforderliche 
erhält. Welche Form der U. jeweils die zweck- 
mäßigste ist, hängt vom Alter und Gesundheits- 
zustande des Armen ab. Geisteskranke, schwache, 
Epileptische, Taubstumme und Blinde, Sieche und 
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