reicher politischer Konzeption fehle, die Fähigkeit nämlich, zu war—
ten, bis der richtige Augenblick gekommen ist. Fürst Bismarck
schätzte also den Besitz von Sansibar höher als den von Helgo—
land, den er sogar noch in den „Gedanken und Erinnerungen“
wie eine dem Deutschen Reiche aufgebürdete Last ansah.
Heute freilich, nach den Erfahrungen des Weltkrieges, liegt
es klar zutage, daß Sansibar militärisch wertlos für uns ge—
wesen wäre — wir hätten es nicht eine Woche im Kriege behaupten
können —, wogegen sich Helgoland als ein Bollwerk von unschätz—
barem Wert erwiesen hat. In Sachen Sansibar-Helgoland hat
die Geschichte nicht dem alten Eckart des deutschen Volkes, son-
dern dem jungen Kaiser und seinem neuen Kanzler recht gegeben.
Es war gewiß nicht Ubelwollen oder Mißgunst gegen den
Nachfolger, was die Haltung des Fürsten bestimmte, sondern es
war Voreingenommenheit in der Sache, als die natürliche Folge
des Grundsatzes, der seine gesamte innere und äußere Politik be-
herrschte: Die deutsche Nation einig und stark zu machen und das
neue Reich im Innern zu festigen und nach außen als Großmacht
des europäischen Festlandes gegen alle Gefahren zu sichern. Die
Aufgabe war groß und schwer genug, um sein ganzes Denken und
amtliches Wirken auszufüllen. Daher ließ er die ersten Schritte
jugendlicher Geister, wie Karl Peters, zur Erwerbung von Kolo-
nien nur zögernd zu. Daher auch die Beschränkung der Rüstung
zur See auf das geringste Maß des Küstenschutzes. Daß das
Wachsen der inneren Kraft Deutschlands den Ubergang zur Welt-
politik erfordern werde, ahnte sein Genius wohl, aber die stete
Sorge blieb doch auf die militärische Verteidigung unserer Stel-
lung inmitten des europäischen Festlandes gerichtet und an eine
Schlachtflotte mit Helgoland als unentbehrlichem Stützpunkt dachte er
nicht. Die beste Erklärung liegt in der vom Fürsten Bülow in seinem
Buche „Deutsche Politik“ nacherzählten Geschichte, wie der achtzig-
jährige Fürst Bismarck auf einer Rundfahrt im Hamburger Hafen
zum erstenmal einen der neuen Riesendampfer betritt, im Anblick
aller der vielen Schiffe, Kräne und Docks stehenbleibt und tiefbewegt
zu Ballin spricht: „Ja, das ist eine neue Zeit — eine ganz neue Welt.“
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