VI. „Offiziöse Preßwirtschaft.“
Will der Neuling Tüchtiges leisten, muß er sich zur Regel
nehmen: Warten, sehen und das Nächste bedenken. Anno 1894
hatte die Regierung des Deutschen Reichs für die Beobachtung
und Bearbeitung der Presse, der fremden wie der einheimischen,
in Fragen der inneren wie der auswärtigen Politik nur eine Stelle,
und diese war mit einem Leiter und zwei Expedienten, ehemaligen
Referendaren, besetzt, die hauptsächlich die Ausschnitte aus in—
und ausländischen Blättern zu besorgen hatten. Ein richtiges Lek-
torat gab es nicht, ebenso auch keinen Fernsprecher. Rudolf Lindau
hatte sogar nur mit einem Assessor oder einem Vizekonsul ge—
arbeitet, und diesem war noch Zeit genug geblieben, um gelegent—
lich auch Korrekturen eines neuen Novellenbandes seines Meisters
durchzusehen. Die Hauptbeschäftigung der Preßstelle bestand frei-
lich auch nur darin, Tagesübersichten über die Presse für den
Fürsten Bismarck zu liefern und die Anweisungen auszuführen,
mit denen sie aus Friedrichsruh zurückkamen. Die Anweisungen
waren nicht selten schon so gefaßt, daß nur Kopf und Schwanz
hinzugefügt zu werden brauchten, bevor der Artikel in der Nord-
deutschen Allgemeinen Zeitung oder sonstwo erschien. Daneben gin-
gen noch Auslassungen über besondere Fragen der inneren Poli-
tik durch die Hand des vortragenden Rates in der Reichskanzlei.
Wie gering erschien diese Preßtätigkeit an Umfang und wie stark
war sie doch in der Wirkung! Nicht die Menge der Beziehungen
machte es, sondern die Güte dessen, was von Friedrichsruh aus-
ging. Bei dem Ansehen, das der Unvergleichliche in der ganzen
Welt genoß, ward alles, was seines Genius Spur verriet, leicht
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