I. Die preußische Verfassung.
1. Einleitung.
Der preußische Staat bildete bis zum Jahre 1848 eine unumschränkte (ab-
solute) Monarchie. Die Landstände, die vordem verschiedene Rechte, insbesondere
das Steuerbewilligungsrecht in Anspruch genommen hatten, waren schon durch den
großen Kurfürsten und Friedrich Wilhelm I. fast aller Rechte entkleidet worden. Eine
wichtige Einschränkung erfuhr jedoch das Königthum durch Selbständigstellung der
richterlichen Gewalt unter Friedrich dem Großen, der sich der noch von seinem Vor-
gänger ausgeübten Einwirkung auf die Rechtspflege (Kabinetsjustiz) enthielt und sich
selbst in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten dem Spruche der Gerichtshöfe unterwarf.
Weit länger ließ die Regelung der gesetzgebenden Gewalt auf sich warten. Eine
Nationalrepräsentation war zwar bei Wiederaufrichtung des Staates nach dem Tilsiter
Frieden mehrfach verheißen worden?), die Erfüllung erfolgte zuerst aber im Geiste
der älteren deutschen Verfassungen, indem Provinzialstände ins Leben gerufen wurden?),
die später zum vereinigten Landtage für den Staat zusammentraten?.
Unter dem Eindrucke der Märzereignisse des Jahres 1848 wurden mit Zu-
stimmung des vereinigten Landtags eine Verordnung über die Grundlagen der künf-
tigen Verfassung und ein Wahlgesetz erlassen ). Die nach diesem zusammengetretene
Versammlung wurde nach ergebnißlosem Verlauf der Verhandlungen aufgelöst; gleich-
zeitig wurden eine Verfassung, die einer Revision unterzogen werden sollte, und zwei
Wahlgesetze für zwei zu bildende Kammern erlassen (oktroyirt)s). Die Verfassung wurde
zwar von den neu zusammengetretenen Kammern anerkannt. Als die Revision aber
nicht zu Stande kam, wurde die 2. Kammer wieder aufgelöst, worauf eine neue Ver-
ordnung über die Wahlen erging, die die Genehmigung der Kammern erhielt und
1) Anl. H § 18.
2) Finanzedikte 27. Okt. 10 (GS. 25)
a. E. u. 7. Sept. 11 (GS. 253) §14;
V. 22. Mai 15 (GS. 103), V. betr. die
Einführung des Staatsraths 20. März 17
(GS. 67) § 2a, Staatsschulden G. 17. Jan.
20 (GS. 9) § II u. XIIII, wonach die
Aufnahme von Darlehen nur mit Zu-
ziehung u. unter Mitwirkung der zukünf-
tigen reichsständischen Versammlung ge-
schehen sollte.
3) G. 5. Juni 23 (GS. 129); Bedin-
gung blieb das Grundeigenthum. — Schon
die Bundesakte 8. Juni 15 (GS. 18 S. 143)
Art. 13 hatte bestimmt, daß in allen
Bundesstaaten eine landständische Ver-
fassung stattfinden werde u. die Wiener
IV. 1.
Schlußakte 15. Mai 20 (GES 113) über-
ließ die Ordnung den souveränen Fürsten
der Bundesstaaten Art. 55, mit dem Zu-
satze, daß die gesammte Staatsgewalt in
dem Oberhaupt des Staates vereinigt
bleiben müsse u. der Souverän nur in
der Ausübung bestimmter Rechte an die
Mitwirkung der Stände gebunden werden
könnte Art. 57.
!) Pat. 3. Feb. 47 (GS. 33). Den
Anlaß bot die Aufnahme einer Anleihe
(Anm. 2) zur Erbauung der Ostbahn.
5) V. 6 u. Wahl G. 8. April 48 (GS.
87 u. 89).
6) Vll. 5 u. Wahlgesetze 6. Dez. 48
(GS. 375, 395, 399).