Wilhelm Kahl, Staat und Kirche. 9
Das Verhältnis gestaltet sich hier dann so, dass der Staat sich nicht bloss abwehrend gegen etwaige
Übergriffe verhält, sondern sich eine sachlich begrenzte aktuelleMitwirkung auf den Gebieten
der sacra externa sichert. Dieses staatliche Oberaufsichtsrecht äussert sich hiernach in den drei
Grundformen der Staatstätigkeit überhaupt: rechtsschöpferisch, richtend und regierend. Rech ts-
schöpferisch in der Staatskirchengesetzgebung, welche die materielle Verhältnisordnung
zwischen dem Staat und den einzelnen Kirchengesellschaften normiert; richtend darin, dass
gegen Verletzung der gesetzlich geordneten Aufsicht die Rechtshülfe der staatlichen Zivil-, Ver-
waltungs- und Strafgerichtsbarkeit besteht; regierend durch fortlaufende administrative Auf-
sichtsübung über die zweckdienliche und ordnungsgemässe Ausführung des Staatskirchenrechts.
Organe dieser administrativen Aufsichtsübung sind die staatlichen Verwaltungsbehörden in
dem durch die Verwaltungsorganisation der Einzelstaaten geordneten Instanzenzug, an oberster
Stelle die Kultusministerien. Das Sachgebiet der gemischten Angelegenheiten umfasst
mindestens und notwendig gewisse Seiten und Bestandteile der Kirchenverfassung, des Kultus,
der kirchlichen Straf- und Disziplinargewalt und des Kirchenvermögens. Die Kirchenver-
fassungistan und für sich Bestandteil der rein internen Kirchenordnung. Für die katholische
Kirche versteht sich dies geschichtlich von selbst; denn mit ihren unabhängig vom Staat, zum Teil
bereits in den Jahrhunderten der Christenverfolgung ausgebildeten Verfassungselementen wurde
sie schon ursprünglich im römischen Reich anerkannt und in ihrer Verfassungsbildung während
anderthalb Jahrtausende niemals vom Staate beeinflusst. Die evangelischen Landeskirchen haben
ihre Verfassungen zwar vielfach erst unter Mitwirkung der Staatsgesetzgebung erhalten, überall
aber als einen in Gestalt der neuen Kirchengemeinde- und Synodalordnungen selbständig zuge-
sicherten Besitz. Gleichwohl bestehen Berechtigungen und Bedürfnisse der Stastsaufsicht, sei es
mit Rücksicht auf die Staatsleistungen für kirchliche Organe oder Anstalten, sei es mit Rücksicht
auf die öffentliche Natur der Kirchenämter oder allgemeine Zwecke der Staatssicherheit. Unter
dem einen oder anderen Gesichtspunkt betätigt sich die Staatsaufsicht im Gebiete der Kirchen-
verfassung durch gesetzlich bemessene Beteiligung (Einspruchs-Bestätigungsrechte) an der Be-
setzung der Kirchenämter, namentlich durch Mitwirkung an der Besetzung der Bischofsstühle und
Amter des evangelischen Kirchenregiments, ferner durch Einflussnahme auf die wissenschaftliche
Vorbildung der Geistlichen und Kontrolle über die hierfür errichteten kirchlichen Anstalten, end-
lich durch die Vorbehalte staatlicher Zuständigkeit hinsichtlich der Zulassung und Tätigkeit von
geistlichen Gesellschaften (Orden, Kongregationen). Auch der an sich interne Charakter des Kul-
tus kann an sich gewisse Betätigungen der Staatsaufsicht nicht ausschliessen, insoferne die aktive
Gottesverehrung die Formen äusserlicher Beziehungen zur gesellschaftlichen Öffentlichkeit trägt.
Unter dem Gesichtspunkte des Rechtsfriedens und der Parität unterliegen daher Prozessionen und
Verwandtes, religiöse Versammlungen unter freiem Himmel, kirchliche Begräbnisfeierlichkeiten der
staatlichen Beaufsichtigung. Der schon erwähnte $ 24 des deutschen Reichsvereinsgesetzes von 1908
hat ausdrücklich die Zuständigkeit des Landesrechtes auch „über religiöse Versammlungen, über
kirchliche Prozessionen, Wallfahrten und Bittgänge, sowie über geistlicheOrden und Kongregationen
vorbehalten. Kirchendisziplinund Kirchenzucht unterliegen der Staatsaufsicht
mit Rücksicht auf den Schutz der.bürgerlichen und staatsbürgerlichen Freiheit der Staatsange-
hörigen ; namentlich bat sie sich hier durch bestimmte Beschränkungen in Ansehung der Strafmittel
(Verbot von Lebens-, Leibes- und Freiheitsstrafen) und ihrer bürgerlichen Wirkungen (Exkommuni-
kation), ferner hinsichtlich des Zweckes ihrer Anwendung (Nichtverhinderung von Ausübung staats-
bürgerlicher Rechte) und endlich hinsichtlich der formellen Garantien eines gerechten Verfahrens
(rechtliches Gehör, Freiheit der Verteidigung, Urteilsbegründung) zu betätigen. Die Staatsaufsicht
über die kirchliche Vermögensverwaltung ist durch die bürgerlich rechtliche Natur des
Objektes an sich bedingt und im besonderen durch das Staatsinteresse an der Erhaltung des Kirchen-
vermögens und die staatlichen Aufwendungen für Kirchenzwecke in den’Kultusbudgets gerecht-
fertigt. Sie äussert sich namentlich in dem Vorbehalte der staatlichen Genehmigung zu wichtigeren
Akten der kirchlichen Vermögensverwaltung und in Begrenzung der steuerlichen Mittel, mit welchen
die Kirchenangehörigen für kirchliche Zwecke in Anspruch genommen werden dürfen. Die allge-
meinen Mittel und Formen der administrativen Aufsichtsübung über die Kirchen und
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