Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

Wilhelm van Calker, Die staatlichen Herrschaftsformen. 143 
  
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Den urkundlichen Ausgangspunkt für die Einführung des 
Systems in Deutschland bilden der vielgenannte Artikel 13 der deutschen Bundesakte von 
1815: „In allen Bundes-Stnaten wird eine landesständische Verfassung stattfinden“ und der 
Artikel 57 der Wiener Schlussakte, der folgendermassen lautet: „Da der deutsche Bund 
mit Ausnahme der freien Städte, aus souverainen Fürsten besteht, so muss, dem hierdurch 
gegebenen Grundbegriffe zufolge, die gesamte Staatsgewalt in dem Oberhaupte des Staats 
vereinigt bleiben, und der Souverain kann durch eine landesständische Verfassung nur in 
der Ausübung bestimmter Rechte an die Mitwirkung der Stände gebunden werden.““) Der 
in diesen Bestimmungen zum Ausdruck gebrachte Grundsatz fand nahezu in allen deutschen 
Verfassungsurkunden Eingang, wobei die meisten Einzelstaaten sich beinahe wörtlich dem 
in Tit. 2 8 1 der bayrischen Verfassung gegebenen Vorbilde anschlossen: „Der König ist 
das Oberhaupt des Staates, vereiniget in sich alle Rechte der Staatsgewalt und übt sie unter 
den von ihm gegebenen in der gegenwärtigen Verfassungsurkunde festgesetzten Be- 
stimmungen aus."*) 
Der juristisch und politisch relevante Inhalt der in jenen Verfassungsbestimmungen 
anfgestellten Formulierung des monarchischen Konstitutionalismus liegt in dem Grundsatze, 
dass der Herrscher der originäre und praesumptive Träger aller in der Staatsgewalt ent- 
haltenen Befugnisse ist, dass er aber bei der Ausübung dieser Befugnisse an die Befolgung 
der, jeder einseitigen Abänderung entzogenen, Verfassungsurkunde gebunden ist. Aus dieser 
Bindung des Monarchen an die "Konstitution — mag die letztere nun oktroyiert oder mit 
den Vertretern des Volkes vereinbart sein — ergeben sich eine grosse Zahl sehr wichtiger 
Beschränkungen der landesherrlichen Machtvollkommenheit auf allen Gebieten der Staats- 
tätigkeit. Die grösste Beschränkung liegt darin, dass der Landesherr eine Reihe der be- 
deutsanisten Staatsakte nicht mehr allein und selbständig, sondern nur unter der gesetzlich 
geregelten Mitwirkung bestimmter anderer Staatsorgane rechtswirksam vornehmen kann. 
Diese Organe sind: die Volksvertretung, die verantwortlichen Minister und die übrigen 
Staatsbehörden. Der Zustimmung der” Volksvertretung bedarf der Herrscher namentlich 
auf dem Gebiete der Gesetzgebung (im Sinne der Schaffung von Rechtssätzen) vorbehaltlich 
bestimmter, ihm ausdrücklich belassener Rechtsv ‚ ferner auf dem Ge- 
biete der Verwaltung, insoweit bestimmte Verwaltungsakte (wie z.B. regelmässig die Etats- 
aufstellung) ausdrücklich an die Zustimmung der Volksvertretung gebunden sind.) — Die 
Mitwirkung der Minister, bezw. des zuständigen Ressortministers, ist schlechthin für alle 
Regierungshandlungen des Monarchen erforderlich, gleichgültig auf welchen Gebieten die- 
selben gelegen sein mögen; eine Ausnahme gilt in der Regel nur für die Massnahmen der 
Kommandogewalt.”) Die ministerielle Mitwirkung, an welche sich die Folge der Verant- 
wortlichkeit des zuständigen Ressortministers oder des Ministerpräsidenten gegenüber der 
Volksvertretung knüpft, ist regelmässig in die Form der Gegenzeichnung gekleidet. Sie 
kann sich aber mitunter auch in einem mehr oder minder passiven Verhalten des zuständigen 
Ministers äussern, indem sich der betreffende Minister bei etwaigen, in n Ressort ein- 
schlägigen Handlungen der Krone einfach schweigend verhält und somit stillschweigend die 
“) Vgl. Klüber, Quellen-Sammlung zu dem Öffentlichen Recht des Teutschen Bundes, 1830, und bezüg- 
lich der Entstehung und Bedeutung dieser Bestimmungen namentlich von Aegidi, Die Schluss-Akte der 
Wiener Ministerial-Konferenzen ete., 1860; Ilse, Protokolle der deutschen Ministerial-Konferenzen etc., 1860; 
von Weeoh, Korrespundenzen und Aktenstücke z. Geschichte der Ministerkonferenzen etc., 1865. 
%) Vgl. z. B. die Verfassungsurkunden von Württemberg ($ 4), Baden ($ 5), Hessen (Art. 4), Kgr. Sachsen 
($ 4), Sachsen-Coburg ($ 3). — Das Fehlen dieser Bestimmung in der preuss, Verf.Urk. erklärtsich nach Hintze, 
S. 394, daraus, dass man den Anschein vermeiden wollte, als beruhe die Stellung des Monarchen irgendwie auf der 
Verfassung. _ 
“) Letzteres geschieht ist dadurch, dass für die betreffenden Verwaltungsakte „‚die Form des Gesetzes‘‘ 
vorgeschrieben wird. 
“) Vgl. Hintze, S. 399f.; bezüglich der ministeriellen Verantwortlichkeit e. besonders S. 407.
	        
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