162% Adolf Tecklenburg, Allgemeine Würdigung der Herrschaftsformen.
dem Umweg überdieabsolute Monarchiebeschieden. Sie hat das Verdienst den Gedanken
der Einheit der Staatsgewalt wieder verwirklicht zu haben, freilich um den Preis der Vernichtung
des Ständetums. Konnte der absolute Monarch auf einsamer Höhe, auch wenn er sich nur als Diener
des ihn mitsamt seinen Untertanen umschliessenden Staates fühlte, und für die Wohlfahrt seiner
Untertanen die Herrschaft ausübte, alle Forderungen der Zeit erkennen und ihnen gerecht werden ?
In Deutschland allenthalben vermochte dieses Bestreben immerhin einen jähen Übergang zu bannen.
Einen solchen musste Frankreich auskosten. Das Bürgertum, die ‚commons‘, dort als ‚tiers tat‘
neben Geistlichkeit und Adel bezeichnet, heischten von neuem Anteil an der Staatsgewalt. So
kam man in Frankreich nach blutigen Wirren und nach und nach allenthalben auch auf dem Kon-
tinent zum repräsentativen Staat.
Wir sehen, auf Grund unseres Massstabes müssen wir allen geschichtlich vorgekommenen
Herrschaftsformen das Lob zusprechen, in einem gewissen Zeitpunkt eine hohe Aufgabe erfüllt
zu haben; aber im Fortschritte der allgemeinen Entwicklung musste dieselbe Herrschaftsform auch
Nachteile zeitigen, wenn anders nicht wie in England sie ständige und allmähliche Fort- und Um-
bildung erfuhr.
2. Die neuere Entwicklune der Herrschaftsformen.
Die letzte Jahrhundertspanne liegt uns zu nahe, um gleich zusammenfassende Urteile auch
nur erwarten zu lassen. Zudem erscheint aber auch die Entwicklung der Herrschaftsformen be-
sonders stark und vielseitig im Flusse. In der konstitutionellen Monarchie steht
der Monarch in bevorzugter, mindestens doch gleicher Stellung neben dem Parlament. Die par-
lamentarische Monarchie stellt das Parlament derart in den Vordergrund bei Aus-
übung der Staatsgewalt, dass manche‘®) ihr den Charakter als Monarchie überhaupt absprechen
und von einer Republik mit erblichem Präsidentensprechen. Der Bundesstaat ist neben den Ein-
heitsstaat getreten. Schliesslich aber tritt unter all diesen repräsentativen Herrschaftsformen ein
neuer Faktor auf und verlangt Berücksichtigung: das Volk, mancherorten zwar noch unorga-
nisiert als öffentliche Meinung, in England in allmählicher B: tonung seiner Bedeutung innerhalb
der repräsentativen Formen, vielfach aber bereits organisiert zum unmittelbar beschliessenden
Stimmkörper, so in den Referendumsdemokratien der Schweiz und in nordameri-
kanischen und australischen Staaten.
x. DieMonarchie im allgemeinen.
Das Prinzip der Monarchie ist die Einheit; darum, so behauptet Seydel ,?') finde in der
Monarchie der Grundgedanke des Staates, die Einheitlichkeit der Staatsgewalt, überhaupt den
entsprechendsten Ausdruck. Lassen wir die Wahlmonarchie beiseite, so wird die Einheitlichkeit
nicht nur durch die Person des jeweiligen Monarchen dargestellt, sondern durch die Verbindung
der Krone mit der monarchischen Familie nach einer darauf zugeschnittenen Erb- und Thron-
folgeordnung dauernd gewährleistet. Dadurch vermag das Herrscherhaus in dem Volke Wurzel
zu schlagen und so dem Nationalgefühl ein sichtbares Symbol der Staatseinheit zu bieten.) „Es
ist ein geheimnisvoller Zauber“, so schildert Wait z#) die Bedeutung der Erblichkeit, ‚der ihr
einwohnt, den man wohl anfechten, aber doch nicht beseitigen kann: die Völker des Alter-
tums haben ihm weniger unterlezen; aber die Germanen und alle, die von ihnen Einfluss auf ihr
politisches Leben erfahren haben, sind in demselben befangen.‘“ Aus der Erblichkeit entspringt
die Stetigkeit der monarchischen Regierung.) In der Demokratie ist der Einfluss der Partei-
majoritäten auf die richtunggebende staatliche Tätigkeit stärker, und darum letztere bei Wechsel
der Majorität oft schwankend. Während die jeweilige demokratische Regierung um ihre Selbst-
») Rehm, Staatslehre 348 u. 285 ff. u. dort Zitierte.
2) Seydel,in Hirths Annalen, 1898, S. 488.
2) Roscher, Politik 35, 41 f.
”) Politik 8. 135.
3) Walter, Naturrecht S. 245; Seydelin Hirths Annalen, 1898 S. 488; Jellinek, Staatslehre 663.