Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

182 Franz W. Jerusalem, Zentralisation und Dezentralisation der Verwaltung. 
  
Die Verteilung der Verwaltungstätigkeit im Staate zwischen der Zentralinstanz und ge- 
wissen untergeordneten Faktoren ist in gewissem Umfang begrifflich notwendig. Notwendig ist in 
erster Linie eine gewisse Zentralisation von Verwaltungsgeschäften in der Zentralinstanz. 
Zunächst aus dem Begriff des einheitlichen Staatswesens heraus, da die Verwaltungstätigkeit der 
Zentralinstanz die Einheit der Staatsgewalt darstellt, die eben diesen Charakter von jener Ver- 
waltungszentralisation erhält. Diese muss also notwendig in gewissem Masse vorhanden sein, damit 
man von einem einheitlichen Staatswesen überhaupt sprechen kann, das also nicht bloss Bundes- 
staat oder eine andere Staaten- und Länderverbindung ist, für welche etwa das Deutsche Reich 
und das Britische Empire als Beispiele gelten können. Welcher Art die Zentralisation der 
Verwaltung sein und welchen Umfang sie haben muss, um ihr den Charakter einer einheitlichen 
Staatsgewalt zu verleihen, braucht in diesem Zusammenhang nicht näher erörtert zu werden. 
Zentralisation der Verwaltung ist ferner wegen des Charakters bestimmter Verwaltungs- 
zweige begrifflich notwendig. Gewisse Verwaltungszweige können nämlich begrifflich nur von 
solchen Faktoren innerhalb des Staates ausgeübt werden, die den Staat als solchen, die Einheit des 
staatlichen Willens in letzter Instanz repräsentieren. Dieser Faktor ist aber lediglich die Zentral- 
instanz bezw. ein es ihrer Organe, wenn jene sich, was im modernen Staatdie Regel ist, aus mehre- 
ren zusammensetzt. Zu solchen Verwaltungszweigen, die begrifflich nur dem Geschäftskreis der 
können, gehört 2. B. die Verwaltung der auswärtigen Angelegenheiten, ins- 
besondere die Aufrechterhaltung und Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten, der Schutz 
der Staatsangehörigen im Auslande usw. 
Notwendig ist sodann eine gewisse Dezentralisation der Verwaltung. Das Wesen 
der Zentralverwaltung besteht vor allem in der Aufstellung allgemeiner Regeln und in Anord- 
nungen, die innerhalb des Staatsgebietes Geltung beanspruchen, und nur ausnahmsweise in der 
Erledigung von Geschäften, die eine notwendige Beziehung zum Staatsgebiet nicht haben. Diese 
Verwaltungstätigkeit der Zentralgewalt bedarf also überall Werkzeuge und Organe, welche ihr 
konkrete Wirksamkeit verleihen und insbesondere die effektive Durchführung ihrer Befehle sicher- 
stellen und garantieren. Insoweit ist die staatliche Verwaltung notwendig territorial gebunden; 
überall, im letzten Winkel des Staatsgebietes muss sie in die Erscheinung treten. Der Polizeidiener 
also muss allgegenwärtig sein, damit nun auch wirklich Ruhe und Ordnung aufrecht erhalten bleibe, 
dass der Verbrecher festgenommen werde, um die gesetzlich festgestellte Strafe zu erleiden und dass 
die zahllosen Vorschriften befolgt werden, die besonders im modernen Staat im Interesse der allge- 
meinen Wohlfahrt erlassen sind. Soweit sich die Verwaltungstätigkeit in konkreten Erscheinungen 
innerhalb des Staatsgebietes äussern muss, ist sie also notwendig dezentralisiert, wenn auch in sehr 
kleinen Staatswesen, wie in den antiken Stadtstaaten, die Zentralverwaltungsorgane in der Lage sind, 
einen Teil der Lokalverwaltungsgeschäfte selbst zu erledigen. 
Zwischen diesen beiden Gebieten der Verwaltung, die notwendig zentralisiert bezw. 
dezentralisiert sind, liegt nun ein weites Feld, das begrifflich sowohl nach den Grundsätzen der 
Zentralisation als der Dezentralisation behandelt werden könnte. Wiediese Verteilung im einzelnen 
durchgeführt ist, hängt zunächst von der Verfassung des jeweiligen Staates ab. Das leuchtet ohne 
weiteresein, wenn man etwa den Lehnsstaat des Mittelalters, wo die Lokalverwaltung in den Händen 
der Lehnsträger ruhte, vergleicht mit der Verfassung des heutigen Frankreich, die wir mit Beziehung 
auf die Verteilung der Verwaltungsbefugnisse noch unten im einzelnen betrachten werden. 
Aber auch zwischen den einzelnen Staaten der modernen Zeit bestehen bezüglich ihrer 
Verfassung tiefgreifende Unterschiede, die auf die Verteilung der Verwaltungsgeschäfte an die ein- 
zelnen in Betracht kommenden Faktoren den grössten Einfluss gehabt haben. Man kann die 
modernen Staatsverfassungen hinsichtlich ibres Einflusses auf die Verteilung der Verwaltung in 
und absolutistische scheiden. Für die Richtigkeit dieser Unter- 
scheidung ist selbstverständlich nicht erforderlich, dass sich diese Verfassungstypen in völliger 
Reinheit vorfinden, da es sich hier nur darum handeln kann, gewisse vorwiegende Charakter- 
züge der einzelnen Staaten, die auf die Verteilung der Verwaltungsgeschäfte einen gewissen gleich- 
mässigen Einfluss haben, unter einheitlichen Gesichtspunkten zusammenzufassen. 
Denkt man sich nun diese Verfassungsformen völlig rein durchgeführt, so ist im demokrati- 
schen oder aristokratischen Staatswesen entweder das gesamte Volk oder eine gewisse Auslese Träger 
  
 
	        
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