Franz W. Jerusalen, Zentralisation und Dezentralisation der Verwaltung. 189
sind. Alles, was Auflegung, Veranlagung und Erhebung der Steuern betrifft, ist von der Ein-
mischung der Zentralbehörden völlig unberührt. Es schien völlig genügend, wenn man die Aus-
gabenbudgets der Kontrolle des Zentralamtes unterwarf. So bedarf jede Kapitalanlage der Geneh-
migung der Zentralbehörde; vor allem aber unterliegt die Ausgabenwirtschaft der lokalen Armenver-
waltung der Kontrolle des Central Audit, d. h. der zentralbehördlichen Rechnungsrevision. Während
früher die Rechnungsprüfung der Ausgaben der Armenverwaltung nach einem Gesetz der Königin
Elisabeth durch Friedensrichter und später durch besondere Rechnungsbeamte, die Auditors, die
von den lokalen Armenbehörden ernannt wurden, erfolgte, ist heute das Amt des Auditors rein
zentralisiert. Das Land ist in eine Reihe von Revisionsbezirken eingeteilt. Die Kontrolle der gesetz-
mässigen Verwaltung nach der rein finanziellen Seite ist denkbar scharf; sie ermöglicht der Zentral-
behörde, Einblick in die kleinsten Einzelheiten der lokalen Armenverwaltung zu nehmen und die
Gesetzmässigkeit der Verwaltung zu sichern. Stellt der Auditor eine ungesetzliche Ausgabe fest,
so hebt er sie auf, wodurch die Verpflichtung zur Ersatzleistung ausgesprochen wird. Gegen diese
Entscheidung gibt es zunächst die Anrufung des ordentlichen Gerichtshofes im ordentlichen Ver-
fahren, des High Court, daneben hat das Armengesetz aber auch die Beschwerde an das Zentral-
amt zugelassen. Während der High Court lediglich über die Rechtsfrage entscheidet, d. h. dar-
über, ob die Ausgabe gesetzlich zulässig war, darf das Zentralamt bei seiner Entscheidung ein
gewisses freies Ermessen walten lassen und an sich ungesetzliche Ausgaben nachträglich sank-
tionieren. Daneben kann die Zentralbehörde, wenn sie die Entscheidung des Auditors bestätigt,
trotzdem aus Billigkeitsrücksichten von der Ersatzleistung freisprechen.
Die Armenverwaltung war derjenige Zweig der Lokalverwaltung, wo sich zuerst das Bedürfnis
nach stärkerer Zentralisation der Verwaltung bemerkbargemacht hatte und wo dem entsprechend auch
zuerst die Reformbewegung einsetzte. Im Laufe der Zeit zeigte sich mehr und mehr, dass auch andere
Verwaltungszweige eine stärkere Zentralisation nicht entbehren konnten und so fand denn eine
Ausdehnung der in der neuen Armengesetzgebung niedergelegten Grundsätze auf immer weitere
Verwaltungszweige statt. So wurde das Inspektorat und die Beaufsichtigung der lokalen Finanz-
gebarung durch das Central Audit auf andere Verwaltungszweige erweitert und das Verordnungs-
recht des Local Governement Board ausgedehnt, wenn auch die Reformen auf allen diesen Gebieten
im Gegensatz zur Armengesetzgebung weniger radikal waren; die Befugnisse des Inspektorates
sind beschränkter und das Verordnungsrecht des Ministeriums ist: weniger umfassend, als wir dies
oben bezüglich der Armenverwaltung feststellen konnten.
Alle diese Reformen im einzelnen zu betrachten, kann nicht Gegenstand dieser Darstellung
sein, nachdem ich oben das Prinzip dieser Reformen, wie es in der Armengesetzgebung niedergelegt
worden ist, dargestellt habe. Hier soll nur noch ein anderes System betrachtet werden, das in England
zum Zwecke der Zentralisierung der Verwaltung bei grundsätzlicher Aufrechterhaltung des Prinzipes
der Dezentralisation zur Anwendung kam. Es betrifft die Polizeiverwaltung.
Ursprünglich war die Friedensbewahrung den Friedensrichtern der einzelnen Grafschaften
und Städte anvertraut gewesen, ohne dass aber eine einheitliche Organisation bestanden hätte.
Die für die Bewahrung und Erhaltung des öffentlichen Friedens erforderlichen Anordnungen waren
Aufgabe der Friedensrichter, unter deren Aufsicht die von den einzelnen Kirchspielen bestellten
Constables die polizeilichen Anordnungen der Friedensrichter als Exekutivorgane ausführten.
Auch diese Organisation brach zu Anfang des 19. Jahrhunderts zusammen und nun galt es auch für
sie neue Formen zu finden. Nach unzulänglichen Versuchen geschah endlich im Jahre 1856 der
entscheidende Schritt, indem den Grafschaften und Städten die gesetzliche Pflicht auferlegt wurde,
einheitliche Polizeiorganisationen zu schaffen und auf Kosten der Steuerträger zu unterhalten.
Zugleich schuf das Gesetz eine besondere Zentralbehörde für das Polizeiwesen, die dem Staats-
sekretär des Inneren (Home Office) untergeordnet wurde. Diesem wurde die Aufgabe übertragen,
auf Grund von Berichten, die die örtlichen Polizeiverwaltungen periodisch einreichen müssen, und
persönlicher Inspektion in den einzelnen Grafschaften und Städten eine fortwährende Kontrolle
über die Gesetzmässigkeit der Polizeiverwaltung auszuüben. Durch diese Inspektionsbefugnisse
war dem Home Office ebensowenig wie dem Local Government Board gegenüber der lokalen
Armenverwaltung eine direkte Befehlsgewalt übertragen. Hier wie dort war es aber notwendig,