Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

3093 Hugo Preuss, Die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland. 
  
war, trat die Wahl auf Zeitdurchdie Stadt Ineten, alsderen Exekutivausschuss der neue Magistrat 
erscheint. Er „soll überall nur aus Mitgliedern der Bürgerschaft bestehen, die das Vertrauen der- 
selben geniessen. ($ 141). In der Hauptsache sollten seine Mitglieder im Ehrenamte stehen. Stein 
entschloss sich ungern, auf den ehrenamtlichen Bürgermeister zu verzichten; und die St. O. sucht 
die Zabl der Berufsbeamten im Magistrat nach Möglichkeit zu beschränken. Das Berufsbeamtentum 
war das wichtigste Element im Entwicklungsgang des fürstlichen Obrigkeitsstaates gewesen; dieser 
hatte das alte Ehrenamt der ständischen Gesellschaft ausgerottet. Jetzt lebte es als bürgerliches 
Ehrenamt in verjüngter Gestalt wieder auf. Denn nur auf dem Boden eines freien genossenschaft- 
lichen Lebens ist die ehrenamtliche Tätigkeit denkbar; und an einem solchen fehlte es durchaus 
innerhalb der obrigkeitlichen Beamtenregierung. Diese Beamten waren und konnten nur sein die 
berufsmässigen Diener des politisch allein berechtigten fürstlichen Herm, in dessen Lohn und 
Brot sie standen. Indem die St. O. die genossenschaftliche Struktur des bürgerlichen Gemeinwesens 
wieder belebte, schuf sie auch wieder Raum für die Tätigkeit von Bürgern im Ehrenamt als Organe 
dieses Gemeinwesens, nicht als gemietete Diener eines fürstlichen Herrn. Diesen neuen Charakter 
aber teilten mit den Ehrenämtern nun die städtischen Berufsämter; auch ihre Träger sind nicht mehr 
missi dominici, beauftragte Diener einer transcendenten Obrigkeit, sondern Organe des Gemein- 
wesens, in dessen Rechten ihre amtliche Zuständigkeit wurzelt. Ja, diese Umgestaltung wirkt hin- 
über auf das Staatsbeamtentum; wenn die regenerierte Bureaukratie nach der Reformära trotz 
der Fortdauer des Absolutismus doch nicht mehr völlig der des ancien r&gime gleicht, so ist dies 
eine Wirkung des Geistes, aus dem die St. O. erwuchs. Für diesen Ideennexus ist es bezeichnend, 
dass die mit der St. O. fast gleichzeitige Verordnung v. 26. Dez. 1808 die Vorgesetzten anweist, 
„das Dienstverhältnis gegen ibre Untergebenen nicht zu einem Mietskontrakt und öffentliche Be- 
amte nicht zu Mietlingen herabzuwürdigen“. Auch hier wird also im Prinzip schon der Bruch mit dem 
fürstlichen Dienertum des Obrigkeitsstaates vollzogen und ein Gedanke ausgesprochen, den erst 
der Verfassungsstaat vollenden kann. 
Für die Kompetenzabgrenzung zwischen Staat und Stadt enthielt die St. O. gar keine 
positiven und nur eine negative Bestimmung. Abgesehen von der Gerichtsbarkeit, die den Städten 
gleichzeitig durch ein anderes Gesetz genommen wurde, schloss die St. O. die Ortspolizei von der 
Zuständigkeit der städtischen Selbstverwaltung, aber nicht von ihrer Zahlungspflicht aus. Sie 
beging damit ihren einzigen, überaus verhängnisvollen Prinzipfehler (vgl. unten). Im übrigen unter- 
stellte sie zwar die kommunale Tätigkeit der staatlichen Aufsicht; gabdieseraber durch genaue gesetz- 
liche Umschreibung eine feste Rechtsform. 
Qualitativ war der mit der St. O. vollzogene Fortschritt überaus bedeutungsvoll; aber im 
Rahmen des grossen Steinschen Planes einer fundamentalen Staatsreform, die das obrigkeitliche 
Beamtenregiment durch die Selbstverwaltung in den Verfassungsstaat überführen wollte, war 
quantitativ ihre Wirksamkeit doch nur recht beschränkt. Das damalige Preussen war ganz über- 
wiegend Agrarstaat, das städtische Element an Zahl und an wirtschaftlicher wie politischer Be- 
deutung keineswegs ausschlaggebend. Die notwendige Voraussetzung für eine Höherführung 
de war also eine Verbreiterung ihrer Grundlage durch die Aus- 
Jehnung auf das agrarische Land. Die Vorbedingung dafür wiederum war die Neuordnung der 
gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse. Sie ward von der Hardenbergschen Gesetzgebung in Angriff 
genommen. Da jedoch die Beamtenregierung hierbei auf den energischen Widerstand der alten 
sozialen Herrenschicht stiess, ohne die tatkräftige Unterstützung der übrigen Volksklassen zu 
erhalten, konnte der Erfolg nur unzulänglich sein. Ja, der bisher schon hier so mächtig überwiegende 
Grossgrundbesitz wurde noch gewaltig verstärkt, indem die Rittergüter für die Aufhebung 
feudaler Gerechtsame durch Zuschlagung von Bauernland entschädigt wurden. Die Aufgabe, diese 
Grossgüter mit den meist kleinen und leistungsschwachen Dörfern in den Rahmen einer modernen 
Organisation kommunaler Selbstverwaltung einzufügen, war tatsächlich unlösbar. Demgemäss 
blieb die feudal-patrimoniale Organisationsform bestehen: die Patrimonialobrigkeit der Ritter- 
güter über die Landgemeinden. 
„ Zu diesem scharfen Gegensatz zwischen Stadt und Land der ostelbischen Provinzen trat 
nach dem Wiener Kongress in dem vergrössert wiederhergestellten Staate der nicht minder scharfe 
 
	        
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