Hugo Preuss, Die kommnnale Selbstrerwaltung in Dentschland. »19
waltungszweige das polizeiliche von den übrigen Elementen scheiden kann, so unterwirft fast überall
das polizei-staatliche die kommunalen Elemente seiner Leitung. So wird nach Miquelstreffendem
Ausdruck „das Sein zum Schein der Selbstverwaltung‘.
Was auf dem Polizeigebiet ein falsches Prinzip derGesetzgebung geleistet hat, das hat nament-
lich im Schulwesen eine eng verwandte Verwaltungspraxis zu Wege gebracht. Auch hier
die gleiche Methode des divide et impera: zwei Begriffe, die sich nicht scheiden lassen, werden an-
geblich doch geschieden und der eine für unbedingt „staatlich“ erklärt. Das sind hier die „Interna“
im Unterschied von den „Externa“ des Schulwesens. Und auch das Resultat ist das gleiche. Das
natürliche Verhältnis: kommunale Selbstverwaltung der von der Gemeinde erhaltenen Schulen
nach den staatlichen Gesetzen und unter staatlicher Aufsicht — wird künstlich zerstört; an seine
Stelle tritt ein formal ungeheuer komplizierter Zustand mit unwahrscheinlichen Reibungsvor-
richtungen zwischen staatlichen und kommunalen Organen; aber mit dem tatsächlichen Ergebnis,
dass — nach etlicher unfruchtbarer Kraftvergeudung durch gegenseitige Hemmung — die bureau-
kratische Obrigkeit die Verwaltung leitet, die kommunalen Organe ihr subordinierte Dienste
leisten, und der Selbstverwaltungskörper die Kosten aufbringt!
Ähnlich, wenngleich kaum so klar, liegen die Dinge auf vielen anderen Verwaltungsge-
bieten. Gewiss ist die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland bei der Ausdehnung ihres
Wirkungskreises von der Gesetzgebung wenig behindert; sie kann der modernen Entwicklung ge-
mäss sozialpolitische Aufgaben aller Art, Aufgaben der Wohnungs- und Bodenpolitik, des Ver-
kehrswesens usw. in Angriff nehmen, ohne eines Spezialtitels durch Parlamentsakte zu bedürfen.
Aber fast bei jedem Schritt stösst sie auf die übergeordnete Macht burcaukratischer Obrigkeit,
die zu genehmigen, zu bestätigen. zu entscheiden, in Wahrheit zu leiten hat; vor allem in Preussen.
Wie sind namentlich die Grossstädte in einer ihrer allerwichtigsten Lebensbedingungen,
der Ordnung und Entwicklung des Verkehrswesens, durch das staatliche Polizeimonopol
und noch obenein durch das preussische Kleinbahn-Gesetz gehemmt, für das sie überhaupt nicht
als politische Gemeinwesen, sondern lediglich als „Wegeunterhaltungpflichtige‘ existieren!
Im letzten Grunde ruht dies ganze System auf dem Gedanken, dass schliesslich auch für die
Qualität der kommunalen Arbeit der „Staat‘‘ verantwortlich sei, und dass dieser „Staat“ durch
das obrigkeitliche Beamtentum tätig werde. Damit ist jedoch Sinn und Zweck der ganzen Selbst-
verwaltungsorganisation in sein Gegenteil verkehrt. Diese beruht vielmehr auf dem Prinzip, dass
an die Stelle der verantwortlichen Leitung von oben die Selbständigkeit des engeren Gemeinwesens
tritt, deren gesetzliche Grenzen durch die staatliche Kommunalaufsicht zu kontrollieren sind.
Für die Qualität seiner inneren Verwaltung muss vor allem durch die Art der gesetzlichen Organi-
sation des Selbstverwaltungskörpers gesorgt werden: durch eine reale Verantwortlichkeit seiner
Organe gegenüber dem Gemeinwesen und durch eine Gestaltung der Wahlrechte, die denen, die
unter einer schlechten Verwaltung am unmittelbarsten zu leiden haben, die Macht gibt, die Ver-
waltung ihrer eignen Angelegenheiten zu bessern. Auf der Überzeugung, dass so, trotz aller mög-
lichen Fehlgriffe im einzelnen, die übrigens bei reiner Obrigkeitsverwaltung mindestens ebenso
wahrscheinlich sind, das Gemeinwohl des engeren wie des weiteren Verbandes am sichersten und
dauerndsten gewahrt werde, beruht die ganze Selbstverwaltung; nur durch ihre rückhaltlose
Averkennung auch in der praktischen Führung der Verwaltung kann sie zur lebendigen Wahrheit
werden. Die Voraussetzung dafür ist aber die Durchführung des selfgovernment auch in der staat-
lichen Struktur unter Überwindung der obrigkeitlichen Rudimente. Die kommunale Selbst-
verwaltung kann nur im wahren Verfassungsstaat Wahrheit werden.