Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

243 Ferdinand Tönnies, Bürgerliche und politische Freiheit. 
  
ihre Spitze zumeist gegen dıe monarchische Staatsform gekelırt: teils direkt, als Korderung, 
Behauptung, Verherrlichung der Republik, teils wenigstens gegen den fürstlichen Absolutismus, 
das persönliche Regiment, den Scheinkonstitutionalismus u. dgl. Durch Ausdehnung bürger- 
licher Freiheit ist das Verlangen nach politischer oft gedämpft worden. 
A. Bürgerliche Freiheit ist die Freiheit der Person und ihrer Betätigungen, die dem Bürger 
vom Staate gelassen oder sogar ausdrücklich durch Gesetze garantiert und geschützt wird. 
Die Freiheit der Person ist a) allgemeine ‚persönliche Freiheit in bezug auf alle anderen 
Personen, b) spezielle bürgerliche Freiheit in bezug auf den Staat. Die Freiheit des nicht 
erzwungenen und nicht gehemmten Handelns, worin diese besteht, zerfällt in zwei grosse 
Hauptkategorien: aa) die Freiheit der ökonomischen Betätigung; bb) die Freiheit der 
geistigen Betätigung. Zwischen beiden steht eine Betätigung, die einen politischen oder 
wenigstens quasi-politischen Charakter hat, wie denn auch die ökonomischen und die geistigen 
Betätigungen sich an vielen Punkten damit berühren; das ist die Freiheit der Assoziation, 
d. i. der Versammlung und namentlich der Vereinigung für irgend welche Zwecke, unter 
denen der Natur der Sache nach die politischen Zwecke das Staatsleben am nächsten be- 
rühren, so dass an dieser Stelle die bürgerliche Freiheit im Begriffe steht, in die politische 
Freiheit überzugehen und sich am engsten mit ihr berührt: diese Art der bürgerlichen Freiheit 
kann daher auch alsstaatsbürgerliche Freiheit ausgezeichnet werden. Freiheit in jedem 
Sinne ausser der allgemeinen persönlichen Freiheit besteht aus einzelnen Freiheiten, die im 
Verhältnis zum Staate Rechte bedeuten und alle auf der Voraussetzung jener (der persön- 
lichen Freiheit oder der freien Persönlichkeit) beruhen; diese Rechte aber haben zunächst 
ihre Geltung nur im Privatrecht, wenn sie auch aus öffentlichem Rechte sich ableiten. Da- 
gegen gehören die politischen Freiheiten unmittelbar dem öffentlichen Rechte an; sie sind 
subjektive öffentliche Rechte im engeren Sinne (wenn auch die bürgerlichen .'reiheitsrechte 
als solche begriffen werden). 
Bürgerliche sowohl als politische Freiheit kann verstanden werden als Freiheit der 
Korporationen oder als Freiheit der Individuen. Die individuelle Freiheit der Assoziation 
berührt sich mit der bürgerlichen Freiheit, deren Korporationen sich erfreuen, und diese 
betätigt sich in ihrer Autonomie. Wenn gleich ihrem Ürsprunge nach genossenschaftliches 
Recht, erscheint sie vom Staate als Zentralgewalt aus als konzediertes Privileg. Die Teil- 
nahme von Korporationen (etwa als Ständen) an der Zentralregierung .ist ihre politische 
Freiheit; an ihr war ehemals die herrschende Aristokratie, geistliche und weltliche, vorzugs- 
weise beteiligt. Im modernen Staate, wie er infolge der französischen Revolution sich ent- 
wickelt hat, sind diese „Libertäten“ mehr und mehr zurückgetreten, wenn auch nicht überall 
verschwunden. Bürgerliche wie politische Freiheit wird im modernen Sinne wesentlich als 
individuelle Freiheit verstanden. Nur in der „Selbstverwaltung“ kehrt ein Stück der 
politischen Freiheit der Individuen als bürgerliche Freiheit von Gemeinden und anderen 
Körperschaften wieder. Insofern als diese aus der Staatsgewalt abgeleitet werden kann, 
liegt auch hier eine Teilnahme an der Souveränität des Staates vor. 
1. In der Voraussetzung der persönlichen Freiheit der Individuen, also in dem Gegen- 
satze gegen Sklaverei, Leibeigenschaft, Hörigkeit liegt der stärkste Zusammenhang des 
Postulats der Freiheit mit dem der Gleichheit: die unmittelbare Beziehung aller Individuen 
auf den Staat involviert die Gleichheit aller vor der Staatsgewalt, also vor dem Gesetze. 
Die Gleichheit bedeutet in erster Linie gleichen Schutz jeder Person gegen jede andere 
Person, gleiches „Recht“ für alle. Zur Person gehört ihre Habe und ibre Ehre. Der Kern 
aller bürgerlichen Freiheit ist, ihrer Idee nach, dass der Staat um der Individuen willen, 
um ihre „Rechte“ in bezug auf einander mit seiner Macht geltend zu machen, da sei; Aus- 
druck dafür die Lehre, dass die Menschen den Staat durch Verträge begründet „haben“ 
(ausserzeitlich: begründen). Diese Lehre beruht in der Erkenntnis, dass der Staat not- 
wendig die natürliche Freiheit einschränkt; auch so gestaltet, dass die Individuen, wenn 
sie in den Staat eintreten, gewisser ursprünglicher Rechte sich entäussera (vor allem des
	        
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