356 Ernst Müller-Meiningen, Vereins- und Versammlungsrecht.
Ebensowenig gehören Bestimmungen, wie die für die älteren Provinzen Preussens bestehende
Vorschrift des $ 3 des Gesetzes, betreffend die Verletzungen der Dienstpflichten des Gesindes und
der ländlichen Arbeiter, vom 24. April 1854 (Gesetzsamml. $. 214), oder die dieser nachgebildeten
Vorschriften anderer Bundesstaaten ($ 6 des anhaltischen Gesetzes, betreffend den Vertragsbruch
in landwirtschaftlichen Arbeitsverhältnissen, vom 16. April 1899 — Gesetzseamml. Nr. 1036 — und
$ 5 des Gesetzes für das Fürstentum Reuss jüngerer Linie vom 12. Mai 1900, betreffend die Be-
kämpfung des Vertragsbruchs landwirtschaftlicher Arbeiter und Arbeitgeber, (Gesetzsamml.
Nr. 605) dem von dem Gesetze geregelten Gebiete des Vereins- und Versammlungsrechts an. Diese
Vorschriften bedrohen lediglich bestimmte Verabredungen ländlicher Arbeiter und Dienstboten
mit Strafe.
Dem Wunsche, zu gleicher Zeit die Rechtsverhältnisse der „Berufsvereine“ zu regeln,
ist der Entwurf ebenfalls nicht gefolgt. Er greift zwar in öffenrechtlicher Beziehung in das Leben
dieser Berufsvereine mächtig ein, allein er befasst sich vor allem mit der privatrechtlichen Stellung,
der Rechtsfähigkeit der Berufsvereine gar nicht. Die Versuche einer Ordnung dieser politisch schwie-
rigen Materie sind bisher im Reichstage gescheitert. —
Das Vereinsgesetz will in der Hauptsache nur die Förmlichkeiten festlegen, die die-
jenigen erfüllen müssen, die Vereine bilden und Versammlungen abhalten wollen.
B. Einzelbestimmungen des Gesetzes:
. Die Grundbestimmung des Gesetzes in $ 1 sagt:
„Alle Reichsangehörigen haben das Recht, zu Zwecken,
dieden Strafgestzennicht zuwiderlaufen, Vereine zu bilden
undsichzuversammeln. Dieses Rechtunterliestpolizeilich
nurdenindiesem Gesetzundanderen Reichsgesetzen enthal-
tenen Beschränkungen.
Die allgemeinen sicherheitspolizeilichen Bestimmun-
gen des Landesrechts finden Anwendung, soweitessich um
die Verhütung unmittelbarer Gefahr fürLebenund Gesund-
heitder Teilnehmeraneiner Versammlung handelt.“
Die Fassung entstammt den Kommissionsbeschlüssen des Reichstages. Sie soll
vor allem den Polizeichikanen der Polizeibehörden vorbeugen, die Jahrzehnte lang den
Gegenstand der Klagen fast aller Parteien des Reichstages bildeten.
Hinsichtlich der TeilnahmederFrauen an Vereinen und Versammlungen lässt
das Reichsgesetz alle bisherigen landesgesetzlichen Beschränkungen fallen. Die Frauen
sind vereinsrechtlich den Männern nunmehr völlig gleichgestellt.
. Die Regierungsvorlage liess auch alle jugendlichen Personen ohne Beschrän-
kung zu. Erst in der Reichstagskommission fand die Bestimmung Aufnahme, dass Per-
sonen unter 18 Jahren von politischen Vereinen und Versammlungen ausgeschlossen sein
sollen ($ 17).
. Über den Begriff des „Vereins“, der „öffentlichen Versammlungen“
8. die reichhaltige fıühere Literatur und Judikatur der Gerichte, die noch für die Zukunft
volle Geltung haben, da der Reichstag wie die verbündeten Regierungen alle Versuche
von Legaldefinitionen der Begriffe „Verein‘‘ und „Versammlung‘‘ aus guten Gründen
als unmöglich und gefährlich ablehnten.
. Alle Präventivverbote für öffentliche Versammlungen sind an sich unzulässig.
Nur die Verhütung unmittelbarer Gefahr für Leben und Gesundheit der Teil-
nehmer (nicht dritter Personen) kann ein Verbot rechtfertigen. (Die teilweise interessanten
einzelstaatlichen Ausführungsbestimmungen gerade dieser Bestimmung s. Kommentar
Dr. Müller und Schmidt $. 38 ffl.)
. Jeder Verein (politischer oder unpolitischer), dessen Zweck den Strafgesetzen zuwider-
läuft, kannauch in Zukunft aufgelöst werden. Die Auflösungsverfü l berim Wege
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