Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

Karl Bücher, Die Presse. 269 
  
Kleinverkehr fortwährend auf die Korrektur der Güterverteilung in den Einzelwirtschaften wie auf 
die Regelung des Arbeitsmarktes hinwirkt, sie erspart auch in Haushalt und Unternehmung den 
Einzelwirtschaften unendliche Arbeit, vermittelt die Bekanntschaft mit neu entstandenen Güter- 
arten und setzt ihre Produzenten in den Stand, latente Bedürfnisse zu wecken, um durch ihre 
Zusammenfassung die Anwendung des Gesetzes der billigen Massenproduktion zu ermöglichen. 
Ohne sie wäre unsere arbeitsteilige Volkswirtschaft und jene allseitige Funktionsteilung unmöglich, 
die unser Leben so ausserordentlich bereichert hat, indem sie uns für unsere Bedürfnisbefriedigung 
die Kräfte zahlloser anderer dienstbar macht. 
Noch tiefer und unmittelbarer greift der Handelsteil in das praktische Leben ein. Obne seine 
täglichen Mitteilungen über Ernteausfall und Handelsvorräte, über Auktionen, Warenpreise, 
Wechsel- und Wertpapierkurse, über die Schwankungen des Angebots und der Nachfrage würde 
der Betrieb von Grosshandel und Fabrikation der nötigen Sicherheit entbehren und die Güterver- 
sorgung der Völker der Stetigkeit und Nachhaltigkeit verlustig gehen. Vor allem würde die richtige 
zeitliche Verteilung des Warenzuflusses und der Warenausfuhr unmöglich werden. Die Ausbreitung 
des kapitalistischen Systems, wie sieindenRi ternel gen desIn-und Auslandes zutage tritt, 
bewirkt eine Verzweigung der materiellen Interessen, nötigt zu einer fortgesetzten gegenseitigen 
Beobachtung der Völker, wie sie nur der hochentwickelte wirtschaftliche Spezialdienst der grossen 
Depeschen-Agenturen ermöglicht. 
Schliesslich darf nicht verkannt werden, dass die Zeitungspresse die geistigen Kräfte einer 
Nation entfesselt. Man mag über den Journalistenstand, der sich bekanntermassen aus den ver- 
schiedenartigsten Elementen zusammensetzt, noch so bescheiden urteilen: das lässt sich nicht ver- 
kennen, dass die Presse eines ganzen Landes täglich eine Fülle von Kenntnissen und Urteilskraft, 
von Schlagfertigkeit und Geistesgegenwart, von Witz, Humor, Takt und Erfahrung beansprucht, 
wie sie nur eine auf die freieste Grundlage gestellte Auslese zutage fördern kann. Vielen ist die 
Presse eine Zuflucht aus der Enge eines öden Berufslebens, eine Schule für die politische Ausbildung 
geworden, und man kann nur bedauern, dass die u. a. auch in der deutschen Presse herrschende 
Gewohnheit der Anonymität der Beiträge diese Kräfte nicht zu einer ihren Leistungen entsprechen- 
den materiellen Stellung und zu einem persönlichen Auswirken in der praktischen Politik gelangen 
lässt, wie es in andern Staaten (z. B. Frankreich) nicht gerade selten vorkommt. 
Das Verhältnis des Staates zur Presse ist, historisch betrachtet, ein vielfach wechselndes 
gewesen. Am einfachsten vielleicht hat schon Caesar den Widerstreit, der zwischen dem Staats- 
interesse und dem Inhalt der Zeitungen entstehen kann, dadurch gelöst, dass er diesen letzteren 
den Privatkorrespondenten, welche die Provinzen mit Nachrichten versorgten, versandfertig zur 
Verfügung stellte. Und eine ähnliche Rücksicht scheint bei dem King-pao der Chinesen wirksam 
gewesen zu sein: das Volk erfährt, was es die Regierung wissen lassen will. Ein derartiges Verhalten 
des Staates schloss die allmähliche Entwicklung des modernen, durchaus auf sozialer Grundlage 
sich aufbauenden Zeitungswesens aus. Immerhin hat auch schon die reine Nachrichtenpresse der 
älteren Zeit und noch mehr die clandestine geschriebene Zeitung die Staatsmänner beunruhigt, 
und bereits die holländischen Wochenzeitungen des 17. Jalirhunderts haben mehr als einmal die 
Diplomatie in Bewegung gesetzt. Noch empfindlicher wirkte es, als in den englischen Zeitungen 
zuerst das parteipolitische Räsonnement einsetzte, und gerade das Parlament, dessen notwendige 
Ergänzung und Unterstützung nachmals das Zeitungswesen geworden ist, hat sich dieser Richtung 
am entschiedensten widersetzt. Seitdem haben die Regierungen ein ganzes Arsenal mit Waffen 
gefüllt, welche die Presse niederhalten sollten: Zensur und Zeitungsstempel, Konzessionspflicht, 
Kautionszwang, Entziehung des Postdebits, Verbot des Strassenverkaufs, administrative Beschlag- 
nahme, und dennoch haben alle bedeutenden Staatsmänner ihrer für ihre Zwecke nicht entraten 
Önnen. 
Bekannt ist das Wort Friedrichs d. Gr. von den Gazetten, die nicht geniert sein dürfen, 
wenn sje interessant sein sollen, und dennoch hat er sie grausam verspottet, um dann doch wieder 
sie zur Stimmungmache durch eigne Artikel zu benutzen. Napoleon I. hat den Ausspruch getan, 
dass vier feindliche Zeitungen mehr Unheil anrichten können als 100 000 Soldaten; aber er hat die 
freie Presse in Frankreich unterdrückt. Bismarck hat sich mit grosser Virtuosität der Presse für
	        
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