296 Paul Schoen, Die formellen Gesetze.
Zu den Reichsgesetzen gehören auch die sog. Landesgesetze für Elsass-Loth-
ringen. Diese sind ihrem inneren Wesen nach Reichsgesetze und nicht Landesgesetze wie
die Gesetze der deutschen Einzelstaaten. Sie werden erlassen von der Reichsgewalt und nicht von
einer von dieser v It, wie eine solche über Elsass-Lothringen überhaupt
nicht besteht. Als Landesketee erscheinen sie nur äusserlich insofern, als sie nur in dem Reichs-
lande Geltung haben, gegenständlich sich auf diejenigen Angelegenheiten beziehen, die im übrigen
Reichsgebiete den Bereich der Landesgesetzgebung ausmachen und auch, nicht wie die gewöhn-
lichen Reichsgesetze, sondern in einem durchaus dem Wege der Landesgesetzgebung nachgebildeten
Prozesse zustande kommen (vgl. unten S. 291).
IV. Das Zustandekommen des formellen Gesetzes vollzieht sich in
bestimmten aufeinander folgenden Akten, die zusammenfassend der „Weg der Gesetzge-
bung‘ genannt werden. Die Zahl und die Reihenfolge dieser Akte ist in den monarchischen Einzel-
staaten und im Reiche dieselbe, nur ihre Ausgestaltung im einzelnen ist hier und dort eine mehrfach
verschiedene; in den freien Städten dagegen vereinfacht sich der Gesetzgebungsprozess durch den
Wegfall des Sanktionsaktes.
1. Der Weg der Gesetzgebung in den monarchischen Einzelstaaten.
a) Er beginnt für die juristische Betrachtung mit der Einbringung desGesetz-
entwurfes bei der Volksvertretung. Alles was dieser vorangeht, insbesondere die Ausarbeitung
des Entwurfes, die durch ein staatliches Organ wie auch von privater Seite stattfinden kann, entzieht
sich der rechtlichen Erörterung. Das Recht, einen Gesetzentwurf einzubringen, die sog. Initia-
tive, hatte nach dem älteren Verfassungsrechte regelmässig allein der Landesherr, heute steht
es nach den meisten Verfassungen wie diesem so auch der Volksvertretung zu. Wo das Zweikammer-
system besteht, hatjededer Kammern dasRecht der Initiative, und in jeder Kammer kann wieder jedes
Mitglied, wenn es die geschäftsordnungsmässige Unterstützung findet, die Beratung eines Gesetz-
entwurfes beantragen. DieRegierung kann in Staaten mit dem. Zweikammersysteme ihre Gesetzes-
vorschläge nach Belieben entweder der ersten oder der zweiten Kammer zuerst vorlegen, wie auch
sie in beiden zugleich einbringen. Nur den Staatshaushaltsetat und andere die Finanzen betreffende
Gesetzentwürfe ist die Regierung verpflichtet, zuerst der zweiten Kammer vorzulegen, und soweit
dieses der Fall ist, kann auch ein Recht der Initiative der ersten Kammer auf dem Gebiete der
Finanzgesetzgebung nicht angenommen werden.5)
b) Das zweite Stadium ist das der Feststellung des Gesetzesinhaltes, d. h. aller
Bestimmungen, die Gesetz werden sollen. Diese erfolgt durch Vereinbarung der Regierung mit dem
Landtage, 6) und zwar so, dass dabei die beiden, oder, wo das Zweikammersystem besteht, die drei
gesetzgebenden Faktoren völlig gleichberechtigt sind. Jeder von ihnen kann den Entwurf nicht nur
annehmen oder ablehnen, sondern auch Abänderungen und Zusätze („Amendements“) zu ihm be-
schliessen und von deren Annahme seitens der anderen Faktoren seine Zustimmung zum Ganzen
abhängig machen. Nur die erste Kammer, und auch sie nur in Preussen und Hessen, ist in ihrer Be-
schlussfassung beschränkt, wenn es sich um den von der zweiten Kammer an sie gelangenden Staats-
haushaltsetat handelt, indem sie diesen nur im ganzen annehmen oder ablehnen, nicht aber Ände-
rungen zu einzelnen seiner Positionen beschliessen darf.) Kommt eine V ereinbarung der gesetz-
8) Die Frage ist allerdings bestritten; vgl. G. Meyer St.R. S.566°, Arndt, Komm. z. Preuss. Verf.,
Anm. 2 zu Art. 64.
®) Die Frage, ob auch die Eingangsworte des Gesetzes „Wir... .““, die auch Bestimmungen von materieller
Bedeutung z. B. über den örtlichen Geltungsbereich oder die Geltungsdauer des Gesetzes enthalten können, der
Zustimmung der Volksvertretung bedürfen, ist mit Schulzea.a. 0. S.21u. G. Meyer, Anteil, S. 57 zu bejahen,
wie deon au such n der Praxis die Zustimmung der Volksvertretung auf sie ausgedehnt wird. And. Ans. Laband
8.0.
” In Baden und Württemberg, wo nach den Verf.Urk. 8 60 und $ 181 die ersteK ine ähnliche Stell
gegenüber allen von der zweiten Kammer beschlossenen Finanz- bezw. Al twürfen ha: ite,
ist ihr durch die verfassungsändernden Gesetze 24. Aug. 1904 und 16, Juli 1906 auch diesen Gesetzentwürfen gegen-